Marschfeuer - Kriminalroman
»Er hatte noch keine Gelegenheit. Er versucht
gerade, den Kopierer wieder gängig zu machen.«
»Ach«, murmelte
Wilfried, »hat die gute Birgit wieder alles lahmgelegt?«
»Wer sonst!« Karin
wandte sich an Lyn: »Die meisten von Markus Lindmeirs Internatskollegen waren
über das Wochenende nicht da, aber diejenigen, die er angetroffen hat, haben
alle ausgesagt, dass sie ihn am Vorabend zuletzt gesehen haben, dann erst
wieder zum Mittagessen.«
»Hat denn keiner nach
ihm gesehen?«, fragte Lyn. »Wenn er krank war, müsste doch mal jemand nach ihm
geschaut haben. Lehrer, Mitschüler …«
»Bei seinen Kumpels
hatte er sich ja abgemeldet. Die haben ihn natürlich schlafen lassen und ihn am
Morgen bei seinem Klassenlehrer entschuldigt. Der wiederum sagt, dass sie nach
den jüngeren Schülern sofort sehen, bei den älteren ab der elften Klasse
allerdings erst gucken, wenn sie zum Mittagessen nicht erscheinen. Und daran
hat Markus Lindmeir teilgenommen.«
»Hätte er denn unbemerkt
seinen Wagen bewegen können? Und sein Zimmer unbemerkt verlassen können?«
Karin Schäfer nickte.
»Er hat ein Erdgeschosszimmer, und der Parkplatz für die Schüler liegt weit
genug weg vom Internatsgebäude. Barbara und Hendrik haben alle Möglichkeiten
durchgespielt.« Karin wandte sich an Wilfried. »Deine Nichte war ganz
begeistert von dem aufregenden Mai-Ausflug.«
»Das kann ich mir
denken«, lachte Wilfried. »Action und dazu ein hübscher Kerl. Das gefällt
Barbara.«
»Ich geh dann mal und
sag dem hübschen Kerl, dass er morgen mit mir Vorlieb nehmen muss«, stieß Lyn
aus und wandte sich abrupt um. »Allerdings kann ich ihm nur eine Beerdigung
bieten und keine Fahrt ins Grüne.«
Hendriks Büro war leer.
Lyn griff nach seinem Memo-Block und teilte ihm kurz und bündig Wilfrieds
Anweisung mit.
Zurück an ihrem
Schreibtisch suchte sie die Schubladen nach einer Kopfschmerztablette ab, denn
in ihrem Schädel begannen kleine Männchen, mit Hammer und Meißel ihre Schläfen
zu bearbeiten. Sie spülte die Aspirin mit einem Schluck aus ihrer Wasserflasche
hinunter, griff zum Telefonhörer und wählte die erste Nummer auf ihrem Block.
Als sich eine Frauenstimme meldete, stellte sie sich kurz vor.
»Wir ermitteln in einem
Mordfall. Sie haben vielleicht in den Medien davon gehört. Der Werftbesitzer
Hinrich Jacobsen wurde getötet. Anhand der Reservierungslisten der Bahn wissen
wir, dass er am 19. April mit Ihnen zusammen im IC 557 nach Groningen reiste. Ich würde Ihnen
gern ein Foto von Hinrich Jacobsen zusenden. Haben Sie ein Faxgerät?– Ja?
Prima. Ich möchte, dass Sie sich das Foto ganz genau ansehen und mir dann
sagen, ob Sie sich an ihn erinnern beziehungsweise ob Sie ihn im Waggon gesehen
haben und ob er mit jemandem gesprochen hat et cetera. Vielleicht ja sogar mit
Ihnen.– Danke, ich schicke Ihnen das Foto sofort.«
Lyn notierte die
Faxnummer der Frau und griff nach der Fotografie Jacobsens. Eine Großaufnahme
im DIN-A 4-Format, im vergangenen Jahr aufgenommen. Volles graues Haar umrahmte
ein schmales Gesicht mit Brille, hinter der die intelligenten Augen
selbstsicher in die Kamera blickten.
Birgit stand am
Kopierer, als Lyn das kleine Sekretariat betrat. »Funktioniert er wieder?«,
fragte Lyn.
»Ja, und ich habe hier
jede Menge zu kopieren. Aber selbstverständlich weiche ich, wenn du etwas
Wichtiges hast. Als Kommissarin hast du natürlich Vorrang vor der kleinen
Sekretärin.«
»Wenn dein
Selbstmitleid-Trip beendet ist, darfst du das hier …«, Lyn knallte Jacobsens
Fotografie auf den Kopierer, »zu dieser Nummer schicken.« Sie klebte das
Post-it mit der Faxnummer über das Foto und ging schnurstracks in ihr Büro
zurück. Zickenalarm hatte sie zu Hause genug.
Sie ließ sich in ihren
Schreibtischstuhl fallen und griff nach dem Telefon. Der letzte Name von der
Liste der Platzreservierungen im Zug gehörte zu einer Telefonnummer in Hamburg.
»Kripo Itzehoe. Guten
Tag, Herr Rühmann«, meldete Lyn sich. Sie brachte ihr Anliegen erneut vor und
musste nicht einmal zu Ende reden. Herr Rühmann hatte das Geschehen
interessiert in der Presse verfolgt und wusste genau, von wem Lyn sprach. »Ja,
genau, der Werftbesitzer«, bestätigte sie und setzte sich gerade auf, als er
weitersprach.
»Sie haben neben ihm
gesessen? Aber laut Reservierungsnummer … Ah, verstehe. … Sie haben sich nett
unterhalten? Wunderbar.« Lyn grapschte nach einem Kuli und notierte die
Adresse. »Herr Rühmann, ich würde Sie gern
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