Marschfeuer - Kriminalroman
Glückstadt unter keinem guten Stern gestanden. »Da wir ja
neuerdings schriftlich miteinander kommunizieren, erwarte bitte kein
Entertainment«, hatte er gesagt, nachdem sie beide in den Dienstwagen gestiegen
und sie ihm mit einem kurzen »Hey, alles klar?« ihren Zeigefinger in die Rippen
geknufft hatte. Natürlich meinte er das Memo, mit dem sie ihm tags zuvor
mitgeteilt hatte, dass sie gemeinsam an der Beerdigung Jacobsens teilnehmen
sollten. Und so hatten sie sich während der Fahrt nach Glückstadt
angeschwiegen.
»Und, ist dir was
aufgefallen?«, fragte er kurz, als er neben ihr in der Kapellentür auftauchte
und sie der schwarzen Schlange der Trauergäste zum gegenüberliegenden
Norderfriedhof folgten.
Lyn verneinte. Es war
ein ganz normaler Trauergottesdienst gewesen, wenn man von der großen Menge der
Trauergäste einmal absah.
Margarethe Jacobsen
hatte, gestützt von Paul Lindmeir, die Kapelle als eine der Letzten betreten.
Markus und Dora Lindmeir waren ihnen gefolgt. Lyn hatte Gonzo erst zum Ende des
Gottesdienstes in einer der hinteren Bänke entdeckt, neben einer Frau, die aufgrund
der Ähnlichkeit seine Mutter sein musste. Er hatte seine Augen geschlossen
gehalten. Wohl eher Langeweile oder Müdigkeit als Konzentration auf die
tröstenden Worte des Pastors, hatte Lyn gemutmaßt.
Nachdem der Bestatter
die Urne in dem Friedhofsgrab deponiert hatte und auch die letzten Trauergäste
sich weitläufig um die kleine Grube versammelt hatten, ergriff Paul Lindmeir–
nach dem gemeinsamen Vaterunser und dem Segen des Pastors– das Wort. Lyn folgte
seiner Rede konzentriert, der leichte Wind entriss ihr dennoch einige
Wortfetzen.
Dankbarkeit für das, was
Hinrich Jacobsen für ihn getan hatte und was er für ihn gewesen war– nämlich
väterlicher Freund und Mentor–, klang durch jedes seiner Worte, während er noch
einmal den Werdegang Jacobsens, sein Leben für die Werft und die
Schiffsindustrie im Allgemeinen hervorhob. Er sprach frei, nur ab und zu
wanderte sein Blick auf das Blatt Papier in seinen Händen. Lyn glaubte zu
sehen, dass seine Finger zitterten.
Am Ende seiner Rede trat
er einen Schritt näher an das Grab. »Ich danke dir, Hinrich Jacobsen. Für
alles.« Seine bis dahin kontrollierte Stimme brach, und er drehte sich zu
Margarethe Jacobsen um. »Es tut mir so leid, Margarethe«, ein großer Klotz
schien in seinem Hals zu stecken, »so unendlich leid …«
Lyns Herz begann einen
Takt schneller zu schlagen. Nicht wegen Margarethe Jacobsen, die sich eine
Träne aus dem Augenwinkel wischte und Paul Lindmeir begütigend zunickte.
Nein, es war Dora
Lindmeir, die ihre Aufmerksamkeit mit einer kleinen Geste weckte.
Die Art, wie Paul
Lindmeirs Mutter sich an den Hals griff, wie sie ihren Sohn ansah, als er
Margarethe mit brüchiger Stimme sagte, wie leid es ihm tue, gab Lyn zu denken.
Paul Lindmeir hatte in
der Zwischenzeit Margarethe Jacobsen umarmt und war vom Grab weggetreten.
»Hast du das gesehen?«,
flüsterte Lyn Hendrik zu.
»Was?«
»Dora Lindmeir sah
gerade aus, als sei ihr etwas klar geworden. Etwas nicht sehr Angenehmes in Bezug
auf ihren Sohn.«
Hendrik sah zu Lindmeirs
Mutter hinüber, die jetzt mit ihrem Enkel an das Grab trat. »Ich habe nicht auf
die Frau geachtet.«
Lyn beobachtete Paul
Lindmeir, der neben Margarethe Jacobsen stand und zusah, wie seine Mutter und
sein Sohn eine gelbe Rose in das Urnengrab warfen. Die Blässe seines Gesichts
stand in derbem Kontrast zu seinem schwarzen Anzug.
»Er kann es gewesen
sein«, flüsterte Lyn, »und weißt du auch, warum ich das glaube? Wegen der Art,
wie er eben zu Margarethe Jacobsen sagte, wie leid es ihm tut. Das klang doch
wie eine Entschuldigung. Wie ein Eingeständnis.«
»Für mich klang das
einfach nach Mitgefühl«, flüsterte Hendrik zurück. »Der Mann ist mit den Nerven
fertig. Er hat seinen besten Freund verloren und leidet mit der Witwe.«
»Ich weiß nicht …« Lyn
war nicht überzeugt. Und sie war sich sicher, dass Dora Lindmeir genauso dachte
wie sie.
»Verdammt«, fluchte
Hendrik und trat auf die Bremse, »das Ding hätte ja auch eine halbe Minute
später umspringen können.«
Das Ding war die
Ampelanlage am Störsperrwerk, die gerade auf Rot geschaltet hatte. Sie waren
auf dem Rückweg nach Itzehoe.
»Es gab mal Zeiten, da
hättest du dich über diesen unfreiwilligen Stopp gefreut«, sagte Lyn. »Wir
haben seit Tagen kaum ein privates Wort gewechselt«, fügte sie leiser hinzu.
»Ich hasse es, wenn du
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