Marschfeuer - Kriminalroman
Onkel
Hinrich das so wollte. Weil er der Meinung war, dass
ich nach Mamas Tod zu viel allein zu Hause war.« Seine Stimme wurde lauter.
»Wir hatten das die
Jahre vorher so gut hingekriegt, Papa! Und dann steckst du mich mit sechzehn in
das Scheiß-Internat, nur weil ich ein paar pubertäre Entgleisungen hatte. Wie
jeder in meinem Alter.« Er drehte sich um und starrte aus dem Fenster. »Onkel
Hinrich ist tot. Ich bleibe hier.«
Paul Lindmeir starrte
den Rücken seines Sohnes an. »Markus, du hättest es mir doch sagen können …
Vorher.«
Markus drehte sich um.
»Ich sage es dir jetzt.«
»Lass uns in Ruhe zu
Hause darüber reden. Heute Abend.«
»Heute Abend kann ich
nicht. Ich will …« Er brach ab und setzte seinen Helm auf. Er machte ein paar
Schritte auf die Tür zu, blieb dann wieder stehen und drehte sich noch mal um.
»Hast du vor, Gonzo nach der Lehre rauszuschmeißen? Wollte Onkel Hinrich das?«
Paul Lindmeirs Lippen
wurden ein Strich. »Was hast du mit dem zu schaffen? Halt dich von ihm fern,
verstanden?«
»Er ist eine Ratte.« Er
sah seinen Vater an. »Und wenn du ihn nicht rausschmeißt, sorg ich dafür, dass
er hier verschwindet.«
***
»Haben Sie eigentlich
eine Vorstellung davon, wie mich die Presse hier Tag für Tag belagert? Wie ich
mich Tag für Tag zu rechtfertigen habe für das, was im Fall Jacobsen-Pankratz
geschieht …«, Staatsanwalt Meier machte eine winzige Pause, »oder besser
gesagt: nicht geschieht?« Er saß hinter seinem Schreibtisch. Seine Ellenbogen
ruhten auf der ledernen Schreibtischunterlage.
Er sprach leise und
akzentuiert, aber Lyn fühlte sich nicht weniger unwohl, als bei Wilfrieds
lautem Ausbruch. Dazu trug Meiers stechender Adlerblick erheblich bei.
»Und dann steht gestern
der Geschäftsführer der Jacobsen-Werft hier in meinem Büro«, fuhr er fort, »und
berichtet mir– stinksauer bis in die Zehenspitzen–, dass Sie sein Werftgelände
zum Hühner-Waldi-Leichenversteck deklariert haben, Wolff?« Er ließ Hendrik
keine Chance zu einer Antwort. »James-Bond-Gehabe konnte ich noch nie leiden.
Was haben Sie sich dabei gedacht?« Sein Blick wechselte von Hendrik zu Lyn und
zurück.
»Unsere drei
Hauptverdächtigen kennen das Werftgelände in-und auswendig«, antwortete
Hendrik ruhig. »Es ist verdammt groß, liegt direkt an der Stör, und ich dachte,
dass es vielleicht Verstecke bietet, an die wir nicht denken. Die Leiche von
Pankratz würde uns ein gutes Stück weiterbringen.«
»Eine schöne Idee. Die
mir, seit Lindmeir sie mir gestern entgegenbrüllte, gut gefällt«, entgegnete
der Staatsanwalt zur Überraschung aller Anwesenden. »Nur, was uns gefällt und
was wir dürfen, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir haben nichts
Greifbares. Gegen keinen der drei Verdächtigen. Und Lindmeir senior hat völlig
recht, wenn er sagt, dass der Ruf der Werft unter keinen Umständen zu Schaden
kommen darf.«
Meier legte die Fingerspitzen
aneinander. »Ich zitiere mal Herrn Lindmeir: ›Die Jacobsen-Werft bietet knapp
einhundert Männern und Frauen einen sicheren Arbeitsplatz, von den
Subunternehmern mal ganz abgesehen. Sie beschert der Gemeinde Beidenfleth Jahr
für Jahr Steuereinnahmen von beträchtlichem Umfang. Und wir haben durch den
Jachtbau eine Klientel, die es überhaupt nicht schätzt, ihre
Zweihundert-Millionen-Euro-Schiffe in einer Werft bauen zu lassen, die durch
Mord-und Leichengeschwafel die Printmedien füllt.‹ Zitat Ende.«
Lyn presste sich
automatisch in ihren Stuhl, als Meier aufstand, sich über den Schreibtisch
beugte und ihnen seinen Raubvogelblick aufzwang. »Bringen Sie mir endlich
Beweise … oder wenigstens ein brauchbares Motiv, verdammt noch mal.«
Im gleichen Moment ertönte
Hendriks Handy-Klingelton. Die James-Bond-Filmmelodie. Hastig fingerte Hendrik
sein Telefon aus der Innentasche seiner Jacke und stellte es aus.
Meier machte ein
weinerliches Gesicht. »Bitte, Knebel, nehmen Sie Ihren Null Null Sieben und
seine Gefährtin und gehen Sie an die Arbeit. Bitte.«
Lyn warf Hendrik einen
schnellen Seitenblick zu. Seine Ohren hatten einen satten Rotton angenommen.
»Und üben Sie sich in
verbaler Enthaltsamkeit in Sachen ›Wer hat unsere Leiche gesehen?‹, Wolff«,
rief der Staatsanwalt Hendrik nach, als sie im Gänsemarsch aus dem Büro
marschierten, »auch während Lindmeirs Abwesenheit.«
Lyn befeuchtete ihre
Lippen mit der Zunge. Sie hatte tatsächlich während der fünfzehn Minuten, die
sie bei Meier verbracht hatten, nur ein
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