Marschfeuer - Kriminalroman
Körper ein blau-grün gebatiktes Tuch
geschlungen.
Lyns Blick hing einen
Moment fasziniert an dem von wallendem Kopf-und Barthaar fast gänzlich
verborgenen Gesicht des Mannes. Er bleckte gelbe Zähne, als er weiterschrie:
»Der dreizehnte Tag ist da. Heute noch werden diese Mauern fallen.« Er hob
seine Arme seitlich in die Höhe, sodass das Tuch sich wie bunte Schwingen ausbreitete.
Wie ein riesiger Kolibri schritt er durch die Touristen Richtung Domportal.
»Ja, lauft nur. Lauft!«,
schrie er die Passanten an. »Fresst weiter, dass eure Körper sich noch mehr
blähen! Betet weiter eure Konsum-Götter an, auf dass euer verseuchter Geist
sich mehr und mehr dem Teufel zuwendet!« Mit wehendem Tuch wandte er sich
wieder um. Vor Lyn und Thilo blieb er erneut stehen. »Der Herr wird noch heute
seine Mauern auf euch werfen, ihr Verdammten.«
Lyn trat einen Schritt zurück,
um der Speichelfontäne aus dem geifernden Mund zu entgehen.
»Reinigt euren
schmutzigen Geist und–«
Weiter kam er nicht,
denn Thilos Hand hatte sich in den Kaftan verkrallt. »Verpiss dich, Apocalypso.
Und zwar hurtig. Sonst reinige ich meinen Geist, indem ich deine Fresse
poliere.«
Dem
Weltuntergangspropheten klappte der Unterkiefer runter. Aber nur für einen
Moment. Als Thilo ihn wieder losließ, überschlug sich seine Stimme, während er
zurückwich. »Es steht geschrieben! Im fünften Buch Mose im siebten Kapitel: Er,
der HERR , dein Gott, wird diese Leute …«, er
deutete auf Thilo, » …ausrotten vor dir, einzeln nacheinander.«
»Lass ihn«, sagte Lyn
kopfschüttelnd und griff nach Thilos Arm, als er sich mit einem »Jetzt
reicht’s!« Richtung Kaftanträger in Bewegung setzte. Sie zog ihren Kollegen am
Arm hinter sich her. »Wir fahren jetzt zu Frau Korwatzky. Ich ruf uns ein
Taxi.«
»Scheint das schönste
Haus in der Straße zu sein«, sagte Lyn mit Blick auf die
sommerblumengeschmückten Erker an der Front des Mehrfamilienhauses in der
Maastrichter Straße, nachdem Thilo den Taxifahrer entlohnt hatte.
»Hauptsache, Frau
Korwatzky hat einen vernünftigen Kaffee für uns«, sagte der Hauptkommissar und
drückte den Klingelknopf.
»Das nenn ich doch mal
Gastfreundschaft«, flüsterte er Lyn zehn Minuten später zu. Maria Korwatzky war
erneut aus ihrem Esszimmer gewieselt, nachdem sie einen gedeckten Apfelkuchen
auf dem runden Mahagonitisch platziert hatte. Aus einer Porzellankanne duftete
es köstlich nach Kaffee.
»Die darf doch nicht
fehlen«, sagte Maria Korwatzky, als sie zurückkam und eine Glasschale mit
geschlagener Sahne vor Thilo abstellte.
»Wunderbar«, strahlte
Thilo sie an. »Sind alle Kölner so zuvorkommend?«
»Ich bin ja gar keine
Kölnerin«, lachte die zierliche Mittsechzigerin, die in der engen Jeans und dem
fliederfarbenen Poloshirt zehn Jahre jünger wirkte. Sie schnitt ein großzügiges
Dreieck aus dem Kuchen und legte es Thilo auf den Teller. »Erst in meiner
zweiten Ehe bin ich nach Köln gekommen. Mein Mann ist vor zwei Jahren
gestorben.« Ihr Blick glitt zu einem Foto an der Wand. »Aber er war Ur-Kölner.
Er hätte nirgendwo anders leben können. Er musste immer den Dom sehen können.«
»Der stürzt heute noch
ein«, brabbelte Thilo, den Mund voll Kuchen.
»Wie bitte?« Frau
Korwatzky sah ihn verwirrt an.
»Unwichtig«, winkte Lyn
mit verdrehten Augen ab und holte ihr Aufnahmegerät aus der Tasche. »Frau
Korwatzky, ich würde unser Gespräch gern aufzeichnen. Worum es geht, wissen Sie
ja bereits. Für uns ist es wichtig, dass Sie uns wirklich jede Kleinigkeit
nennen, die Ihnen zu Ihrem Gespräch mit Hinrich Jacobsen einfällt.«
»Ja, ja«, nickte Maria
Korwatzky mit leuchtenden Augen, »ich bin Krimi-Fan. Ich schau immer
›Aktenzeichen XY ungelöst‹ und ›Tatort‹ … und
›Bella Block‹. Ich weiß, worauf es ankommt.«
»Na, dann schießen Sie
mal los«, nickte Thilo ihr aufmunternd zu, » …ich darf doch?« Er griff nach der
Kaffeekanne und schenkte sich die zweite Tasse ein.
»Ich habe ihn gefragt,
ob ich mich zu ihm setzen darf, weil alle Tische im Speisewagen besetzt waren«,
begann Maria Korwatzky, »und er hatte nichts dagegen. Er war ein sehr höflicher
Mann. So etwas schätze ich. Nun, jedenfalls entwickelte sich ein nettes
Gespräch. Über den Schiffbau.«
»Tatsächlich?«, hakte
Thilo erstaunt nach. »Woher … ich meine … Sie haben Kenntnisse im Schiffbau?«
»Nur ein klein wenig«,
schwächte sie ab, »ich bin von Haus aus Buchhalterin, aber mein erster Mann
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