Marschfeuer - Kriminalroman
noch, was Mama und du immer zum Horizont gesagt habt?«
»Natürlich.« Ein Lächeln
spielte auch um Paul Lindmeirs Lippen. »Für mich ist das die Kimm-Linie. Da
halte ich es mit den Nautikern.«
»Und Mama hat immer
gesagt, da, wo sich Himmel und Erde berühren, liegt das Land Glückseligkeit.
Dort gibt es keine Trauer und keinen Schmerz.« Markus’ Stimme veränderte sich.
Bitterkeit und Sehnsucht klangen durch, als er sagte: »Nur scheiße, dass man
niemals hinkommt, nicht? Es bleibt immer gleich weit weg. Egal wie lange man
fährt.«
Paul Lindmeir griff nach
der Hand seines Sohnes. »Es wird alles gut.«
Markus blickte sich kurz
um. Von der Crew war niemand in ihrer Nähe. Trotzdem wurde seine Stimme leiser.
»Mir geht’s schon ein bisschen besser. Vielleicht auch, weil die den Geldclip
bei Gonzo gefunden haben. Ich meine … er ist meinetwegen tot, aber … er war
selber ein viel größeres Schwein, oder? Was der mit Onkel Hinrich gemacht hat …
Ich wollte Jana das eigentlich nicht glauben, als sie bei mir war. Er war ja
echt ‘ne Ratte. Aber das …«
»In der größten Not ist
der Mensch zu allem fähig.« Paul Lindmeirs Stimme klang emotionslos.
»Pff!« Markus Lindmeir
drehte sich empört zu seinem Vater um. »Was für ‘ne Not soll das denn gewesen
sein? Gonzo hatte keine Knete. Na gut, neidisch war der immer auf uns. Aber
deswegen bringt man doch keinen um.«
»Würdest du denn einem
Menschen einen Grund zugestehen, einen anderen zu töten?«
Markus zögerte nicht mit
der Antwort. »Klar, bei Notwehr.«
Paul Lindmeir stieß sich
von der Reling ab. »Ja. Sich zu wehren ist das gute Recht eines jeden.« Er
blickte auf seine Uhr, dann zur Schiffsbrücke, als die Jacht an Fahrt verlor
und schließlich nur noch vor sich hin dümpelte.
»Was ist jetzt los?«
Markus sah seinen Vater irritiert an.
»Der Kapitän hat den
Stopp angekündigt«, klärte Paul Lindmeir ihn auf, »allerdings hatte ich
gehofft, dass …«
»Dass was?«
»Ach, nichts. Wenn wir
Pech haben, liegen wir hier morgen früh noch, denn sie wollen das DP -System erproben.«
»Hä?«
»Dynamic Positioning.
Kapitän Ferreira wartet auf die entsprechenden Satellitensignale. Sieben an der
Zahl.« Er blickte in den Himmel.
»Das kann ja noch Stunden
dauern«, meinte Markus und folgte seinem Blick. »Wer weiß, wo die gerade
kreisen.«
Paul Lindmeir nickte.
Dass sie immer noch in Küstengewässern waren, ließ seinen Puls nicht zur Ruhe
kommen. Er schlug seinem Sohn leicht auf die Schulter. »Ich bin in meiner
Kabine, Markus. Wir sehen uns zum Essen.«
In seiner Kabine setzte
er sich an den Schreibtisch und stellte den Laptop an. Minutenlang starrte er
auf den Desktop. Schließlich klappte er das Gerät wieder zu und schob es zur
Seite. Er atmete tief durch, nahm ein Blatt des edlen handgeschöpften Papiers
aus der Schublade und griff zu seinem Kugelschreiber. Das, was er zu schreiben
hatte, konnte er nicht mit einer Maschine tun.
»Markus, mein geliebter
Sohn«, begann er, »ich schreibe diesen Brief mit meinen Händen. Hände, die in
diesem Leben so viel Schönes berührt haben: die Haut deiner Mutter, und auch
deine. Hände, die geschaffen haben. Schiffe, wunderbare Schiffe.«
Er machte einen Absatz.
»Hände, die ich als
grausames Werkzeug missbraucht habe. Wenn du dies liest, ist das eingetroffen,
was ich seit Wochen fürchte und gleichzeitig herbeisehne. Aber ich will nicht,
dass du es von ihnen erfährst. Wie auch immer du gleich über mich denken wirst,
sei gewiss: Ich liebe dich. Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass du …«
»Papa, kommst du essen?«
Markus Lindmeir steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Oder musst du noch
arbeiten?«
»Nein, schon gut, dieses
… dies hat Zeit bis nach dem Essen.« Er nahm das angefangene Schreiben, legte
es in die Schublade und folgte seinem Sohn durch die mit Gemälden in
prunkvollen Rahmen geschmückten Gänge in den Speiseraum. Seine rechte Hand
glitt dabei über das Makassar-Ebenholz an den Wänden. Dieses Schiff war so
wundervoll. So einzigartig.
Was, wenn er Markus den
Brief nie geben brauchte? Wenn die Polizei sein Geheimnis nicht lüftete? Für
einen Moment presste er seine Hände gegen die Schläfen, hinter denen der
Kopfschmerz pochte. Würde er es aushalten?
***
»Paul A. Lindmeir! …
Paul A.« Lyn lief wie eine Raubkatze im Käfig von einem Ende des Zimmers zum
anderen. Sie und Thilo hatten Maria Korwatzky aus ihrem eigenen Wohnzimmer
hinausgebeten, um das
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