Marschfeuer - Kriminalroman
diesem
Fall für immer meine Klappe.«
»Wer’s glaubt.« Mit
einem Grinsen klatschte er sie ab.
SECHZEHN
»Ich hätte nicht
erwartet, dass dieser Anblick sie so sentimental stimmen würde, Mr Lindmeier.«
Der erste Offizier der aus Brasilien stammenden Crew der »a rainha« sprach ein
stark akzentuiertes Englisch, wobei er Paul Lindmeir erstaunt anblickte. »Sie
sind doch bestimmt schon hundertfach mit ihren Neubauten ausgelaufen.«
Paul Lindmeir blinzelte
das Wasser in seinen Augen weg, wandte den Blick ab von dem langsam hinter der
Störschleife entschwindenden Werftgelände. Natürlich hatte er diesen Anblick
schon hundertfach erlebt. »Dieses Mal ist es anders.«
»Sorry?« Der des Deutschen nicht mächtige
Offizier sah ihn fragend an.
»Es liegt an diesem
einzigartigen Schiff«, sagte Paul Lindmeir auf Englisch und lächelte jetzt.
»Nun, auf eine gute
Reise«, wünschte der Brasilianer und setzte sich mit einem freundlichen Nicken
Richtung Brücke in Bewegung.
Paul Lindmeir starrte
auf das Störufer, an dem sich zahlreiche Schaulustige eingefunden hatten, um
das Auslaufen der Megajacht zu verfolgen. Dann glitt sein Blick über das Deck.
Wo war Markus? Er löste sich von der Reling und ging die Treppen zu den Kabinen
hinunter. Er klopfte kurz an die Kabinentür seines Sohnes und trat ein. Der
Junge lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, auf dem Bett und starrte die
mit einem Mosaikbild verzierte Decke an.
»Markus, komm mit nach
oben. Wir passieren gleich Wewelsfleth und das Störsperrwerk. Lass uns
zusehen.«
Der Junge rührte sich
nicht. Paul Lindmeir trat an das Bett und hockte sich auf die Kante. Er legte seine
Hand auf die Brust seines Sohnes. »Hör auf zu grübeln, Markus. Es war ein
Unfall.«
Markus Lindmeir löste
die Hände hinter seinem Kopf und drehte sich auf die Seite. Er sah seinen Vater
nicht an. »Einem Toten in die Augen zu gucken ist … ist so scheiße. Ich seh
immer noch seine Augen … so weit aufgerissen.«
Einen Moment herrschte
Stille. Dann setzte Markus Lindmeir sich auf, schwang seine Beine aus dem Bett
und trat an das Fenster des Schiffes. »Wenn ich mir vorstelle, wie Onkel
Hinrich …« Er schüttelte sich. »Man muss ein Tier sein, um einem Toten die
Zähne rauszuziehen, oder? Und vorher noch einen anderen zu killen, um die Tat
zu vertuschen.«
Paul Lindmeir stand
abrupt auf. »Ein Tier?« Er ging zur Kabinentür und öffnete sie. »Ein Tier tötet
instinktiv. Um seine Herde zu schützen, zu ernähren. Um zu leben … Und nun
komm. Raus aufs Deck. Die frische Seeluft wird die dunklen Schatten
vertreiben.«
***
»Wir sind gleich da,
Lyn.« Thilo Steenbuck löste den Blick von der Akte und sah aus dem Zugfenster.
Bis zum Kölner Hauptbahnhof mochten es noch ein paar Minuten sein. Der ICE hatte seine Geschwindigkeit längst verringert.
»Na, das passt doch. Ich
bin gerade mit dem letzten Kapitel durch.« Lyn klappte das Buch zu, in dem sie
gelesen hatte. »Wir müssen uns unbedingt noch den Kölner Dom anschauen, nachdem
wir mit Frau Korwatzky gesprochen haben. Genauer gesagt: den Glocken-Engel über
dem Petersportal.«
»Hä?«
»Musst du nicht
verstehen«, lachte Lyn. »Hier drin«, sie deutete auf das Buch auf ihrem Schoß,
»geht es um diesen Engel. Und um die wahre Liebe.«
Thilo grapschte nach dem
Taschenbuch. »›Das Portal‹«, las er den Titel. »Klingt jetzt nicht unbedingt
nach Rosamunde Pilcher.«
»Das ist ja auch keine
Schmonzette«, sagte Lyn, nahm ihm das Buch wieder ab und steckte es in ihre
Handtasche. »Sag bloß Wilfried nicht, dass ich, statt die Akte zu wälzen, einen
Roman gelesen habe.«
»Pff«, winkte Thilo ab,
»wenn wir schon nicht den Flieger nehmen dürfen, müssen wir die vertane
Lebenszeit ja irgendwie wieder reinholen. Außerdem kennst du die Akte doch auswendig.«
»Keine Schmeicheleien.
Ich bin einfach nur eine Vorzeige-Staatsbedienstete«, sagte Lyn und stand auf,
als der Zug in den Bahnhof einlief.
Thilo lachte und warf
einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir können dem Dom noch vorher einen Besuch
abstatten. Sind nur ein paar Schritte vom Bahnhof. Und mit der Korwatzky sind
wir erst um fünfzehn Uhr verabredet.«
»Wunderschön«, sagte Lyn
andächtig, als sie vor dem Wahrzeichen Kölns standen.
»Nicht mehr lange«,
erklang eine schrille Stimme neben ihnen. »Nicht mehr lange.«
Lyn und Thilo drehten
sich synchron zu der Gestalt an ihrer Seite um.
Es war ein Mann, gehüllt
in einen weißen Kaftan, um den
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