Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
ihren Eltern. Auch ni cht beim Großvater. Bist du sicher, dass er nicht zurückgekommen ist?«
»Nein. Ich habe deine Telefonnummer zu Hause hinterlassen. Auf seinem Bett. Und Patrice weiß Bescheid. Er weiß, dass ich hier bin ‒ «
»Und ... Alex?«
»Er ruft nie von unterwegs an. Zum Glück. Das ... war schon immer so. Seit wir uns kennen. Er geht seinen Geschäften nach. Ich stelle keine Fragen.« Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Guitou ist ... Vielleicht sind sie bei einem Freund von ihr. Mathias. Er gehörte zu der Bande, mit der sie gezeltet hat. Dieser Mathias war bei ihr, als sie sich von Guitou verabschiedet hat und ...«
»Kennst du seinen Namen?«
»Fabre. Aber ich weiß nicht, wo er wohnt.«
»Das Telefonbuch von Marseille ist voller Fabres.«
»Ich weiß. Sonntagabend habe ich nachgesehen. Ich habe mehrere angerufen. Jedes Mal kam ich mir schrecklich blöd vor. Bei der zwölften Nummer habe ich frustriert aufgegeben. Und entnervt. Und noch ratloser als vorher.«
»Den Schulanfang wird er auf jeden Fall verpassen, fürchte ich. Ich werde sehen, was ich heute Abend noch tun kann. Sonst werde ich morgen versuchen, etwas mehr über diesen Mathias herauszube - kommen. Und ich werde dem Großvater einen Besuch abstatten.«
Ein Körnchen Wahrheit inmitten der Lügen. Und die Hoffnung, dass Naïmas Mutter mir nicht etwas vorgemacht hatte. Dass es den Großvater gab. Dass Mourad mich zu ihm führen würde. Dass der Großvater mich empfangen würde. Dass Guitou und Naïma da sein würden oder nicht weit ...
»Warum nicht gleich?«
»Gélou, weißt du, wie spät es ist?«
»Ja, aber ... Fabio, glaubst du, es geht ihm gut?«
»Na, na, er liegt mit einem netten Mädchen im Bett. Er weiß gar nicht mehr, dass es uns gibt. Denk mal zurück — das war doch nicht schlecht, oder?«
»Ich war zwanzig. Und so gut wie mit Gino verheiratet.«
»Es muss trotzdem schön gewesen sein, oder? Das frage ich dich.«
Sie schwieg erneut. Dann hörte ich sie am anderen Ende schniefen. Das hatte nichts Erotisches. Hier spielte nicht der italienische Welt - star. Das war einfach meine Cousine, die weinte wie eine Mutter.
»Ich glaube, mit Guitou habe ich einen Riesenfehler gemacht. Meinst du nicht?«
»Gélou, du bist sicher müde. Iss auf und leg dich hin. Warte nicht auf mich. Nimm mein Bett, und versuch zu schlafen.«
»Ja«, seufzte sie. Sie schniefte erneut. Im Hintergrund hörte ich Honorine husten. Ihre Art, mir zu sagen, ich solle mir keine Sorgen machen, sie würde sich schon um Gélou kümmern. Honorine hustete sonst nie.
»Ich umarme dich«, sagte ich zu Gélou. »Du wirst sehen, morgen sind wir alle wieder zusammen.«
Und ich hängte ein. Ein wenig abrupt sogar, weil sich seit ein paar Minuten zwei Taugenichtse um meinen Wagen herumdrückten.
Ich hatte fünfundvierzig Sekunden, um mein Autoradio zu retten. Ich rannte schreiend aus der Kabine. Mehr zu meiner Befreiung, als um ihnen Angst zu machen. Ich jagte ihnen tatsächlich einen Schreck ein, aber meine wirren Gedanken lichteten sich nicht. Als das Mofa mit Vollgas an mir vorbeisauste, schleuderte mir der Beifahrer ein »Arschloch« ins Gesicht, das nicht einmal den Preis meines altersschwachen Autoradios wert war.
Arno wohnte an einem Ort namens »Le Vieux Moulin«, einem von den Baulöwen seltsamerweise verschonten Gelände an der Strecke nach Merlan. Davor und dahinter gab es nur noch provenzalische Billigwohnungen. Eine flache Ausgabe der Betonsilos für Bank-und andere mittlere Angestellte.
Ich war manchmal mit Serge dort gewesen. Die Gegend war trostlos. Vor allem nachts. Nach halb neun fuhr kein Bus mehr und nur selten ein Auto.
Ich parkte vor der alten Mühle, aus der ein Möbel-Verkaufslager geworden war. Vor mir erstreckte sich der Autoschrottpla tz von Saadna, einem Zigeuner u nd entfernten Cousin von Arno, d ahinter war Arnos Hütte aus Hohlbausteinen und mit einem Blechdach. Saadna hatte sie gebaut, um dort eine kleine Mechanikerwerkstatt einzurichten.
Ich ging um die Mühle herum und am Kanal der Stadtwerke von Marseille entlang. Hundert Meter weiter, direkt hinter dem Schrottplatz, machte er eine Biegung. Ich rutschte einen Müllberg hinunter und landete vor Arnos Bude. Ein paar Hunde bellten, es passierte aber nichts weiter. Die Hunde schliefen alle in den Häusern. Wo sie vor Angst schlotterten wie ihre Herrchen. Was Saadna betraf, er mochte keine Hunde. Er mochte niemanden.
Um die Hütte verstreut lagen einige
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