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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Motorradgerippe. Gestohlen, natürlich. Nachts bastelte Arno daran herum, in Pantoffeln, mit nacktem Oberkörper und einem Joint zwischen den Lippen.
    »Lass dich nicht erwischen«, hatte ich ihn gewarnt, als ich eines Abends vorbeikam, um mich zu vergewissern, dass er brav zu Hause war und nicht bei den Auseinandersetzungen mitmischte, die sich im Bellevue-Viertel anbahnten. In einer Stunde würden wir die Keller stürmen und alles hochnehmen, was wir fanden. Rauschgift, Dealer und anderes Gelichter.
    »Mach dir nicht ins Hemd, Montale! Misch dich nicht auch noch ein. Serge und du, ihr geht mir langsam auf den Geist. Das ist Arbeit. Okay, ich bin nicht versichert, aber das ist mein Leben. Ich schlag mich durch. Weißt du, was das heißt, sich durchschlagen?« Er hatte wie wild an seinem Joint gezogen, ihn wütend weggeworfen und mich mit seinem Schraubenschlüssel in der Hand angesehen. »Ja nun! Ich will hier nicht mein ganzes Leben verbringen, verstehst du. Also schufte ich. Was glaubst du ...«
    Ich glaubte gar nichts. Das war es, was mich bei Arno beunruhigte. »Gestohlenes Geld ist verdientes Geld.« Mit eben dieser Argumen - tation waren Manu, Ugo und ich mit zwanzig ins Leben getreten.
    Es ist schön und gut, sich immer wieder zu sagen, dass fünfzig Millionen eine feine Summe zum Schlussmachen sind. Eines Tages geht immer einer zu weit. Manu hatte geschossen. Ugo hatte geju— belt, weil es unser bester Coup war. Ich hatte die Schnauze voll und mich bei der Kolonialarmee verpflichtet. Eine Seite war brutal umgeblättert worden. Die Seite unserer Jugend, unserer Träume von Reisen und Abenteuern. Das Glück, frei zu sein, nicht arbeiten zu müssen. Keine Chefs, keine Bosse. Weder Gott noch Herren und Meister.
    Zu einer anderen Zeit hätte ich mich auf einem Postdampfer einschiffen können. Nach Argentinien. Buenos Aires. »Sonderange - bot. Einfache Fahrt«, war auf den alten Plakaten der Schifffahrtslinien zu lesen. Aber 1970 gab es keine Postdampfer mehr. Die Welt war ziellos geworden, wie wir. Ohne Zukunft.
    Ich war weggegangen. Gratis. Nach Dschibuti. Für fünf Jahre. Dort hatte ich einige Jahre zuvor schon meinen Militärdienst abgeleistet. Schlimmer als das Gefängnis war es auch nicht. Oder die Fabrik. Mit »Exil« von Saint-John Perse in der Tasche, um durchzuhalten, den Verstand nicht zu verlieren. Die Ausgabe, aus der Lole uns auf der Digue du Large mit Blick aufs Meer vorgelesen hatte.
    Einst hatte ich so viel Freude daran, unter den Menschen zu leben,
    doch nun haucht die Erde ihre Seele in der Fremde aus ...
    Zum Heulen.
    Dann war ich Polizist geworden, ohne recht zu wissen, wie und warum. Und hatte meine Freunde verloren. Heute waren Manu und Ugo tot. Und Lole war wohl irgendwo, wo man ohne Erinnerungen leben konnte. Ohne Gewissensbisse. Ohne Groll. Sein Leben in Ordnung bringen hieß seine Erinnerungen in Ordnung bringen. Das hatte Lole mir eines Abends erklärt. Am Abend vor ihrer Abreise. In diesem Punkt war ich ihrer Meinung. Es nützt nichts, in der Vergangenheit zu wühlen. Die Fragen müssen der Zukunft gestellt werden. Ohne Zukunft ist die Gegenwart nur Chaos. Ja, klar. Aber mich ließ meine Vergangenheit nicht los. Das war mein Problem.
    Heute war ich nichts mehr. Ich glaubte nicht an Räuber. Ich glaubte nicht an Gendarmen. Den Vertretern des Gesetzes war jegliche moralische Wertvorstellung abhanden gekommen, und die wahren Diebe hatten nie eine Handtasche klauen müssen, um abends etwas zu essen zu haben. Auch Minister wanderten natürlich ins Gefängnis, aber das waren nur Zwischenfälle am Rande des politischen Lebens. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun. Sie würden alle früher oder später wieder auf der Bühne erscheinen. In der wirtschaftsorientierten Gesellschaft wäscht die Politik immer rein. Die Mafia ist das beste Beispiel. Aber für tausende von Jugend - lichen aus den Vorstädten war der Knast der große Absturz. Nach ihrer Freilassung waren sie schlechter dran als vorher. Das Beste lag weit hinter ihnen. Für sie war das Leben gegessen. Es war ohnehin nur trockenes Kommissbrot gewesen.
    Ich stieß die Tür auf. Sie hatte nie ein Schloss gehabt. Im Winter schob Arno einen Stuhl davor, um sie zuzuhalten. Im Sommer schlief er draußen, in einer kubanischen Hängematte. Die Inneneinrichtung war so, wie ich sie in Erinnerung hatte. In einer Ecke ein Bett mit Eisengestell aus Armeebeständen. Ein Tisch, zwei Stühle. Ein kleiner Schrank. Ein kleiner Gaskocher. Ein

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