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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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eine Dummheit beging, war natürlich der Gadzi schuld. Wir hatten sie seit Ewigkeiten im Visier. Wir existierten nur zu ihrem Unglück. Eine Erfindung des Teufels. Um den lieben Gott zu ärgern, der in seiner unendlichen Güte den Zigeuner nach seinem Ebenbild geschaffen hatte. Den Roma. Den Menschen. Seitdem hatte der Teufel gewütet. Er hatte Millionen von Arabern in Frankreich angesiedelt, nur um die Zigeuner noch mehr zu ärgern.
    Er spielte den alten Weisen mit Bart und langen, grau gesprenkelten Haaren. Die Jungen holten sich oft Rat bei ihm. Es war immer der schlechteste. Geprägt von Hass und Verachtung. Zynismus. Damit rächte er sich für seinen Hinkefuß, den er seit seinem zwölften Lebensjahr hinter sich herzog. Wenn Arno ihm nicht so viel Sympathie entgegengebracht hätte, wäre er möglicherweise nicht kriminell geworden. Er wäre nie im Gefängnis gelandet. Und er würde noch leben.
    Als Arnos Vater Chano starb, hatten Serge und ich für ihn eine Erlaubnis erwirkt, auf die Beerdigung zu gehen. Arno war zutiefst erschüttert. Er wollte unbedingt zur Trauerfeier. Ich hatte sogar die Bewährungshelferin — laut Arno »williger als die Sozialpäda-gogin« — bezirzt, damit sie ebenfalls persönlich intervenierte. Wir bekamen die Erlaubnis. Sie wurde jedoch unter dem Vorwand Arno sei unverbesserlich, auf ausdrückliche Anweisung des Direktors wieder zurückgezogen. Man erlaubte ihm nur, seinen Vater ein letztes Mal im Leichenschauhaus zu sehen. Zwischen zwei Beamten. Vor Ort wollten sie ihm die Handschellen nicht abnehmen. Also weigerte Arno sich, hineinzugehen. »Ich wollte nicht, dass er mich mit den Dingern an den Händen sieht«, hatte er uns danach geschrieben.
    Bei der Rückkehr brach er zusammen, machte einen Heidenkrach und landete in Einzelhaft. »Ich hab die Schnauze voll von dem Sauhaufen, versteht ihr. Dass man mich duzt und überhaupt. Die Mauern, Verachtung, Beleidigungen ... Es stinkt! Ich habe zwei - tausendmal an die Decke gestarrt, und ich kann nicht mehr.«
    Als er aus der Einzelhaft kam, schnitt er sich die Pulsadern auf.
    Saadna senkte die Augen. Und sein Gewehr. »Ehrliche Leute benutzen den Haupteingang. Du hattest wohl keine Lust, mir guten Abend zu sagen?« Er ließ seinen Blick durch den Raum streifen. An der Plastiktüte blieb er hängen. »Was lässt du da mitgehen?«
    »Papiere. Serge braucht sie nicht mehr. Er wurde erschossen. Vor meinen Augen. Heute Nachmittag. Morgen hast du die Bullen hier.«
    »Erschossen, sagst du?«
    »Hast du eine Ahnung, was Serge in letzter Zeit getrieben hat?«
    »Ich brauch erst mal nen Schluck. Komm mit.«
    Selbst wenn Saadna etwas wusste, hätte er es mir nicht gesagt. Dennoch ließ er sich nicht zweimal zum Reden auffordern und verlor sich nicht in unerträglich weitschweifigen Erklärungen, wie es seine Art war, wenn er log. Das hätte mich stutzig machen müssen. Aber ich hatte es zu eilig, sein Rattenloch zu verlassen.
    Er hatte zwei klebrige Gläser mit einer übel riechenden Brühe gefüllt, die er Whisky nannte. Ich hatte das Zeug nicht angerührt. Nicht mal zum Anstoßen. Saadna gehörte zu jenen Leuten, mit denen ich nicht anstieß.
    Serge hatte ihn letzten Herbst aufgesucht, um ihm vorzuschlagen, in Arnos Bude einzuziehen. »Ich brauche sie für eine Weile«, hatte er gesagt. »Brauche einen Unterschlupf.« Saadna hatte versucht, ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen, aber umsonst. »Du gehst kein Risiko ein, aber je weniger du weißt, desto besser.« Sie begegneten sich selten, sprachen kaum miteinander. Vor etwa vierzehn Tagen hatte Serge ihn gebeten, sich davon zu überzeugen, dass ihm niemand folgte, wenn er abends nach Hause kam. Dafür hatte er tausend Francs springen lassen.
    Saadna mochte Serge auch nicht besonders. Sozialarbeiter und Bullen waren für ihn ein und dasselbe verfluchte Pack. Aber Serge habe sich um Arno gekümmert. Er schrieb ihm, schickte ihm Päckchen, besuchte ihn. Das sagte Saadna mit seiner üblichen Gehässigkeit, um deutlich zu machen, dass er zwischen Serge und mir trotz allem einen Unterschied sah. Ich sagte nichts. Ich hatte keine Lust, mich mit Saadna zu verbrüdern. Was ich tat, ging nur mich und mein Gewissen etwas an.
    Es stimmt, dass ich Arno nicht oft geschrieben habe. Briefe waren nie mein Ding. Die Einzige, der ich massenhaft geschrieben habe, war Magali. Als sie sich in Caen darauf vorbereitete, Lehrerin zu werden. Ich erzählte ihr von Marseille, von Les Goudes. Das fehlte ihr so sehr. Aber

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