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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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im Departe - ment Var registriert. Ich notierte mir die Nummer. Das brachte mich für den Moment nicht weiter. Aber morgen war auch noch ein Tag.
    Jetzt wird gegessen, sagte ich mir.
    Im Félix beendeten zwei Paare ihr Abendessen. Félix war hinten im Restaurant. Seine Gitanes mit Filter auf der einen Seite, den Pastis auf der anderen saß er an einem Tisch und las Les Piedi Nickelés à Deauville. Sein Lieblingscomic. Etwas anderes schaute er nicht an, nicht mal eine Zeitung. Er sammelte die Piéds-Nickeles- und die Bibi-Fricotin-Comics und freute sich in jeder freien Minute daran.
    »Oh! Céleste«, rief er, als er mich hereinkommen sah. »Wir haben einen Gast.«
    Seine Frau kam aus der Küche und wischte sich die Hände an ihrer schwarzen Schürze ab, die sie erst auszog, wenn das Restaurant schloss. Céleste hatte noch gut drei Kilo zugelegt. Da, wo es am meisten auffällt. An der Brust und an den Hüften. Kaum sah man sie, bekam man schon Appetit.
    Ihre Bouillabaisse war eine der besten in Marseille. Drachenkopf, Rotbarsch, Meeraal, Petersfisch, Seeteufel, Petermännchen, Meer - barbe, Rotbrasse, Knurrhahn, Wolfsbarsch ... Dazu ein paar Krebse und gelegentlich eine Languste. Nur Felsenfische. Nicht wie bei so vielen anderen. Für die Rouille hatte sie ihr einzigartiges Geheimnis, Knoblauch und Pfeffer mit Kartoffeln und Seeigelfleisch zu verbinden. Aber die Bouillabaisse stand nie auf der Speisekarte. Man musste regelmäßig anrufen und fragen, wann sie eine kochte. Denn eine gute Bouillabaisse lohnte sich nur für mindestens sieben oder acht Personen, wenn sie möglichst viele Fischsorten in aus - reichender Menge enthalten sollte. So genossen wir sie immer unter Freunden und Feinschmeckern. Sogar Honorine »gab zu«, dass Céleste eine hervorragende Köchin war. »Aber schließlich, nicht wahr, das ist ja auch nicht mein Beruf ...«
    »Sie kommen gerade recht«, sagte sie und umarmte mich. »Ich habe ein paar Reste gekocht. Venusmuscheln in Sauce, wie ein Frikassee, wenn Sie so wollen. Und ich wollte ein paar Sch weine leber - würstchen grillen. Möchten Sie ein paar eingelegte Sardinen als Vor - speise?«
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Umstände.«
    »Meine Güte! Was fragst du! Trag auf!«, sagte Félix.
    Er stürzte sein Glas hinunter, ging hinter den Tresen und spendierte eine Runde. Félix trank durchschnittlich zehn bis zwölf Pastis am Mittag und zehn bis zwölf am Abend. Heute trank er sie a us einem normalen Glas mit einem Tröpfchen mehr Wasser. Zuvor hatte er sie nur in mominettes ausgeschenkt, ganz kleinen Schnaps - gläsern, in denen kaum noch Platz für Wasser blieb. Wir tranken unzählige Runden mominettes. Je nach Anzahl der Kumpel beim Aperitif konnte eine Runde acht bis zehn Pastis bedeuten. Niemals weniger. Wenn Félix sagte: »Die geht auf mich«, fingen wir von vorn an. In anderen Lokalen, im Péano und im Unie, war das genauso, bevor das eine ein Schickimickiladen und das andere eine Rockbar wurde. Pastis und Kémia —schwarze und grüne Oliven, Cornichons und alle möglichen, in Essig gegarten Gemüsesorten - gehörten zur Marseiller Lebensart. In einer Zeit, in der die Leute sich noch zu unterhalten verstanden, weil sie sich noch etwas zu sagen hatten. Das machte natürlich durstig. Und es dauerte. Aber Zeit zählte nicht. Niemand hatte es eilig. Es gab nichts, was nicht fünf Minuten warten konnte. Damals war es nicht schlechter oder besser als heute. Aber Freud und Leid wurde einfach und ohne falsche Scham geteilt. Man sprach über das Elend. Und war niemals allein. Man brauchte nur zu Félix zu kommen. Oder zu Marius. Oder Lucien. Und die in unruhigem Schlaf geborenen Dramen erstarben im Anisdunst.
    Und Céleste schnauzte dann und wann einen Kunden an: »Hallo! He! Soll ich dir den Tisch decken?« »Nein. Ich gehe zum Essen nach Hause.« »Und deine Frau, weiß sie, dass du zum Essen kommst?« »Aber natürlich! Ich habe es ihr heute Morgen gesagt!« »Die wartet sicher nicht mehr auf dich, du. Hast du gesehen, wie spät es ist?«
    »Oh! Verflixt!« Und er setzte sich vor einen Teller Spaghetti mit Venusmuscheln, die er schnell aß, um pünktlich wieder zur Arbeit zu kommen.
    Félix stellte das Glas vor mich hin, prostete mir zu und sah mich mit blutunterlaufenen Augen an. Glücklich. Wir kannten uns seit fünfundzwanzig Jahren. Aber seit vier Jahren brachte er mir väterliche Gefühle entgegen. Ihr einziger Sohn, Dominique, der sich leidenschaftlich für die Wracks

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