Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
das geschriebene Wort ist nicht meine Stärke. Ich verheddere mich. Selbst sprechen fällt mir schwer. Von dem, was in uns ist, meine ich. Mit dem Rest, dem typischen Mar seiller tchatche, dem Gequatsche, komme ich bestens zurecht.
    Aber ich habe Arno alle vierzehn Tage besucht. Zuerst im Jugend - gefängnis in Luynes, in der Nähe von Aix-en-Provence. Dann im Hauptknast Baumettes. Nach einem Monat war er auf die Kranken - station verlegt worden, weil er die Nahrung verweigerte. Und weil er den Scheißer hatte. Er schiss sich aus. Ich hatte ihm Pepitos, kleine Schokoriegel, mitgebracht, die liebte er.
    »Ich will dir erzählen, wie das kommt, mit den Pepitos«, sagte er. »Eines Tages — ich war acht oder neun Jahre alt — zog ich mit meinen großen Brüdern los. Sie hatten von einem Dussel eine Kippe geschnorrt, rauchten und gaben Zoten zum Besten. Du glaubst nicht, wie mich das faszinierte! Plötzlich sagt der bauernschlaue Pacho: › Marco, wie viele Kalorien hat ein Naturjogurt? ‹ Marco hatte natürlich keine Ahnung. Mit fünfzehn war Jog hurt nicht gerade seine Spezialität. › Und ein hart gekochtes Ei? ‹ fragte Pacho weiter. › Komm schon auf den Punkt ‹, fielen die anderen ein, die nicht sahen, worauf er hinauswollte. Pacho hatte gehört, dass man beim Bumsen achtzig Kalorien verbrennt. Und dass die in einem hart gekochten Ei oder einem Jogurt stecken. Ernsthaft. › Wenn du sie isst, kann es gleich wieder von vorne losgehen !‹ Gelächter! Marco wollte sich nicht lumpen lassen: › Ich hab gehört, wenn du das nicht zur Hand hast, frisst du fünfzehn Pepitos und hast den gleichen Effekt! ‹ Seitdem habe ich es mit den Pepitos. Man kann nie wissen! Obgleich du sagen wirst, dass es sich hier nicht lohnt. Du hast die Fresse der Krankenschwester gesehen!«
    Wir hatten gelacht.
    Ich brauchte plötzlich frische Luft. Keinen Bock, mit Saadna über Arno zu reden. Oder über Serge. Saadna zog alles in den Dreck. Was er anfasste, seine ganze Umgebung hatte er beschmutzt. Und alle, mit denen er sprach. Er hatte Serge nicht aus Freundschaft zu Arno dort wohnen lassen, sondern weil er im Dreck steckte. Das verband.
    »Du hast dein Glas nicht angerührt«, sagte er, als ich aufstand.
    »Du weißt, Saadna. Mit Typen wie dir trinke ich nicht.«
    »Das wirst du eines Tages bereuen.«
    Und er trank mein Glas in einem Zug aus.
    Im Wagen knipste ich die Deckenleuchte an und sah mir den Brief an, den ich eingesteckt hatte. Er war Samstag im Postamt Colbert im Zentrum aufgegeben worden. Statt seinen Namen und seine Adres - se auf der Rückseite anzugeben, hatte der Absender linkisch ge - schrieben: »Weil die Karten schlecht verteilt worden sind, erreichen wir einen Grad von Unordnung, bei dem das Leben nicht mehr möglich ist.« Ich schauderte. Es war nur ein Blatt darin, aus einem Heft gerissen. Dieselbe Schrift. Zwei kurze Sätze. Die ich hektisch las, aufgewühlt durch einen so dringenden Hilfeschrei. »Ich kann nicht mehr. Komm her. Pavie.«
    Pavie. Mein Gott! Sie hatte gerade noch gefehlt in dieser Geschichte.

Sechstes Kapitel
    In dem du dir das Leben nicht
aussuchen kannst

    Als ich blinkte, um rechts in die Rue de la Belle-de-Mai einzubiegen, bemerkte ich meinen Verfolger. Ein schwarzer Renault Safrane hing mir in einiger Entfernung, aber raffiniert, an der Stoßstange. Auf dem Boulevard Fleming hatte er sich sogar einen Spaß daraus gemacht, mich nach einer roten Ampel zu überholen. Er hatte in zweiter Reihe geparkt. Ich spürte ein Paar Augen auf mir. Ich sah kurz zu dem Wagen hinüber. Aber die getönten Scheiben schützten den Fahrer vor neugierigen Blicken. Ich erhaschte nur mein eigenes Spiegelbild.
    Dann war der Safrane vor mir her gefahren, wobei er peinlich genau auf die Geschwindigkeitsbegrenzung achtete. Das hätte mich stutzig machen müssen. Nachts hält sich niemand an die Geschwin - digkeitsbegrenzung. Nicht einmal ich mit meinem alten R 5. Aber ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, meine Gedanken zu sortieren, um einen eventuellen Verfolger zu berücksichtigen. Außerdem war ich weit von der Vorstellung entfernt, jemand könne sich an meine Fersen heften.
    Ich dachte über das nach, was man das Zusammentreffen mehrerer Umstände nennt, das bewirkt, dass man morgens sorglos aufwacht und abends einen getürmten Neffen am Hals hat, einen vor den eigenen Augen ermordeten Kumpel, einen praktisch fremden Jungen, der um Freundschaft wirbt, und dass man mit einem Typ schwatzen musste, der einem

Weitere Kostenlose Bücher