Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
zu müssen. Aber das konnte sie nicht tun. Er war ihr Guitou. Sie kniete neben ihm nieder, um ihn ein letztes Mal zu sehen. Ihm Adieu zu sagen. Sie zitterte nicht mehr. Die Angst war auch weg. Als sie aufstand, dachte sie, jetzt ist alles egal und ...
»Und wo sind sie jetzt, sie und Mathias?«
Ich setzte eine Unschuldsmiene auf und antwortete: »Nun, da liegt das Problem. Wir wissen es nicht.«
»Machst du dich über mich lustig, oder was?«
»Ich schwöre.«
Er sah mich böse an. »Ich werde dich einlochen, Montale. Zwei oder drei Tage.«
»Du spinnst!«
»Du hast genug Unheil angerichtet. Und ich will dich nicht mehr zwischen den Füßen haben.«
»Auch nicht, wenn ich die Rechnung bezahle?«, fragte ich dümm - lich.
Loubet musste lachen. Ein ehrliches, offenes Lachen. Ein männ - liches Lachen. Es konnte allen Niederträchtigkeiten dieser W elt die Stirn bieten.
»Jetzt hast du einen Schreck gekriegt, hm?«
»Und ob! Sie wären alle gekommen, um mich zu begaffen. Wie im Zoo. Sogar Pertin hätte mir Erdnüsse gebracht.«
»Die Rechnung teilen wir uns«, meinte er ernst. »Ich werde einen Fahndungsbefehl für Balducci und den anderen herausgeben. Narni.« Er sprach seinen Namen langsam aus. Dann sah er mir fest in die Augen. »Wie bist du auf ihn gestoßen?«
»Narni, Narni«, wiederholte ich. »Aber ...«
Der Vorhang ging über einer der verruchtesten und unvorstellbarsten Schweinereien auf. Ich spürte, wie mein Magen sich um - krempelte. Mir wurde schlecht.
»Was hast du, Montale? Bist du krank?«
Halt durch, sagte ich mir, halt durch. Nicht auf den Tisch kotzen. Reiß dich zusammen. Konzentrier dich. Atme. Na, mach schon, atme. Langsam. Wie bei einer Wanderung in den Calanques. Atme. Na bitte, es geht doch. Weiteratmen. Und ausatmen. Gut so. Ja, so gehts ... Siehst du, alles ist verdaulich. Sogar Scheiße im Reinzu - stand.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Geht schon, geht schon. Mein Magen spielt verrückt.«
»Du siehst zum Fürchten aus.«
Ich sah Loubet nicht mehr. Vor mir stand der andere. Der schöne Mann. Mit den ergrauenden Schläfen. Und graumeliertem Haar. Und mit einem dicken, goldenen Siegelring an der rechten Hand. Alexandre. Alexandre Narni.
Mir wurde wieder schlecht, aber das Schlimmste war vorbei. Wie hatte Gélou es fertig gebracht, sich im Bett eines Killers wiederzu - finden? Zehn Jahre lang, mein Gott!
»Es ist nichts«, sagte ich. »Das geht vorbei. Noch einen Cognac auf den Weg?«
»Bist du sicher, dass alles okay ist?«
»Schon okay.«
»Narni«, fuhr ich locker fort. »Keine Ahnung, wer das ist. Nur ein Name, der mir vorhin eingefallen ist. Boudjema Ressaf Narni ... Ich wollte vor Pertin etwas angeben. Ihm weismachen dass wir zusam - menarbeiten, du und ich.«
»Ah!«, sagte er. Loubet ließ mich nicht aus den Augen.
»Und wer ist dieser Narni?«
»Der Name ist dir doch nicht aus heiterem Himmel eingefallen. Das kannst du mir nicht erzählen. Du musst von Narni gehört ha - ben. Zwangsläufig. Einer der Waffenträger von Jean-Louis Fargette.« Er lächelte ironisch. »Aber an Fargette kannst du dich doch erin - nern? Oder? Die Mafia, das Ganze ...«
»Ja, klar.«
»Dein Narni hat sich jahrelang an der ganzen Küste als Erpresserkönig hervorgetan. Er kam wieder ins Gespräch, als Fargette in San Remo ermordet wurde. Vielleicht war er sogar der Täter. Hat die Familie gewechselt, du weißt, wie das läuft. Seitdem ist Narni untergetaucht.«
»Und was macht er jetzt, wo Fargette tot ist?«
Loubet lächelte. Das Lächeln desjenigen, der weiß, dass er den anderen in Staunen versetzen wird. Ich war auf das Schlimmste gefasst.
»Er ist Finanzberater bei einer internationalen Gesellschaft für Wirtschaftsmarketing. Die Gesellschaft, die das zweite Konto von Cues Gesellschaft führt. Ebenso das zweite Konto von Fabres Archi - tektenbüro. Und noch mehr ... Ich hatte keine Zeit, die Liste genau durchzusehen. Dahinter steckt die neapolitanische Camorra. Das wurde mir kurz vor unserem Essen hier bestätigt. Du siehst also: Fabre steckte schwer in der Klemme. Aber nicht so, wie du glaubst.«
»Und doch«, sagte ich ausweichend.
Ich hörte nicht mehr richtig hin. Mein Magen verkrampfte sich. Er war total aufgewühlt. Seeigel, Seefeigen, Austern. Der Cognac war mir keine Hilfe gewesen. Am liebsten hätte ich geheult.
»Dieses Wirtschaftsmarketing ‒ was verstehen die Typen deiner Meinung nach darunter?« Ich wusste es. Babette hatte es mir
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