Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
dann hob ich ihr Kinn, damit sie mich ansah.
»Hast du ein Tempo?«
Sie nickte. Sie machte sich los, öffnete ihre Handtasche, zog ein Tempo und einen kleinen Spiegel hervor. Sie wischte die Makeup-Spuren fort. Mehr tat sie nicht.
»Wo ist dein Wagen?«
»Im Parkhaus hinter dem Hotel. Warum?«
»Frag nicht, Gélou. Auf welchem Parkdeck. Eins? Zwei?«
»Eins. Auf der rechten Seite.«
Ich legte meinen Arm wieder um ihre Schultern und wir gingen zum New York zurück. Die Sonne versank hinter den Häusern auf der Anhöhe des Panier-Viertels und tauchte die Gebäude am Kai von Rive-Neuve in ihren rötlichen Glanz. Diese Momente erhabener Schönheit gaben mir den Halt, den ich dringend brauchte.
»Erzähl«, bat sie. Wir standen vor einem der Metroeingänge am Alten Hafen. Es gab drei. Diesen. Einen unten an der Cane bière. Den anderen an der Place Gabriel-Péri.
»Nachher. Jetzt gehst du zu deinem Wagen. Du steigst ein und wartest, bis ich komme. Ich bin in weniger als zehn Minuten bei dir.«
»Aber...«
»Schaffst du das?«
»Ja.«
»Gut. Ich lasse dich gleich allein. Du tust so, als würdest du ins Hotel zurückkehren. Davor zögerst du ein paar Sekunden. Als wenn du an etwas dächtest. Etwas, das du vergessen hast, zum Beispiel. Dann gehst du gemächlich zum Parkhaus. Einverstanden?«
»Ja«, sagte sie mechanisch.
Ich umarmte sie wie zum Abschied. Drückte sie an mich. Zärtlich. »Es ist wichtig, dass du genau tust, was ich dir gesagt habe, Gélou«, sagte ich sanft, aber bestimmt. »Hast du verstanden?« Sie nahm meine Hand. »Na los, geh schon.«
Sie ging. Steif. Wie ein Roboter.
Ich sah, wie sie die Straße überquerte. Dann fuhr ich auf der Rolltreppe in die Metrostation hinunter. Ohne Eile. Kaum unten, rannte ich. Quer durch die ganze Station bis zum Ausgang Gabriel-Péri. Ich nahm zwei Stufen auf einmal und landete auf dem Platz. Dort ging ich nach rechts und kam vor dem Palais de la Bourse auf die Canebière. Das Parkhaus war gegenüber.
Wenn Narni oder der andere, Balducci, mich beobachteten, war ich ihnen einen Schritt voraus. Dort, wo Gélou und ich hingingen, konnten wir niemanden gebrauchen. Ich ging bei Rot über die Straße und tauchte ab in das Parkhaus.
Scheinwerfer blitzen auf, und ich erkannte Gélous Saab.
»Rutsch rüber«, sagte ich als ich die Tür öffnete. »Ich fahre.«
»Wohin, Fabio? Was hast du vor?« Die letzten Worte hatte sie ge - schrien.
»Nur eine Spazierfahrt«, antwortete ich besänftigend. »Wir müssen reden, oder nicht?«
Wir sagten nichts, bis wir auf der nördlichen Autobahn waren. Ich war im Zickzack durch Marseille gefahren, ein Auge im Rückspiegel. Aber es hatte sich kein Auto an uns drangehängt. Beruhigt erzählte ich Gélou dann endlich, was passiert war. Ich sagte ihr, der zuständige Kommissar einer meiner Freunde war. Dass w ir ihm vertrauen konnten. Sie hatte zugehört, ohne Fragen zu stellen und dann nur festgestellt: »Das ändert jetzt auch nichts mehr.«
Ich nahm die Ausfahrt Les Arnavaux und fuhr die Straßen nach Sainte-Marthe hinauf.
»Wie hast du Narni kennen gelernt?«
»Wie bitte?«
»Alexandre Narni, wo hast du ihn getroffen?«
»In dem Restaurant, das ich mit Gino hatte. Er war Gast. Ein guter Kunde. Er kam oft. Manchmal mit Freunden, manchmal allein. Er wusste Ginos Küche zu schätzen.«
Ich auch. Ich konnte mich noch an einen Teller Lingue di passero mit Trüffeln erinnern. So gute hatte ich nie wieder gegessen. Nicht einmal in Italien.
»Hat er dir den Hof gemacht?«
»Nein. Das heißt, Komplimente ...«
»Wie ein gut aussehender Mann sie einer schönen Frau macht.«
»Ja, wenn du willst ... Aber für mich war er wie jeder andere Gast. Nicht mehr, nicht weniger.«
»Hm ... Und er?«
»Wieso er? Fabio, was willst du damit sagen? Hat das etwas mit Guitous Tod zu tun?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich muss einige Dinge aus deinem Leben erfahren. Um zu verstehen.«
»Was verstehen?«
»Wie meine geliebte Cousine Gélou Alexandre Narni, einen Profi - killer der Mafia, kennen gelernt hat. Und wie sie zehn Jahre mit ihm schlafen konnte, ohne etwas zu merken.«
Und ich bremste scharf. Damit mich die Ohrfeige nicht in voller Fahrt erwischte.
Zwanzigstes Kapitel
In dem ein beschr ä nktes Weltbild
vorgeschlagen wird
Nur wenige Monate nach der Eröffnung wurde Narni einer der besten Gäste des Restaurants. Er kam immer mit bekannten Persön - lichkeiten. Bürgermeister, Abgeordnete. Lokale Größen. Minister.
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