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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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den Schluchzern auf. »Nein! Nicht du!«
    »Einer muss es tun. Um das alles loszuwerden. Nicht, um zu vergessen, nein. Das wirst du nie können. Ich auch nicht. Nein, nur um mit der Schweinerei aufzuräumen. Ein wenig klar Schiff zu machen um uns herum. In unseren Köpfen. In unseren Herzen. Dann, und nur dann, können wir versuchen, weiterzuleben.«
    Gélou drückte sich an mich. Wie in unserer Jugend, als wir aneinander geschmiegt im selben Bett lagen und uns wilde Geschichten zum Fürchten erzählten. Aber der Spuk hatte uns eingeholt. Er war sehr real. Natürlich konnten wir wie früher eng beieinander einschlafen. Schön warm. Aber wir wussten, dass der Schrecken beim Erwachen nicht verschwunden sein würde.
    Er hatte einen Namen. Ein Gesicht.
    Narni.
    Ich fuhr los. Ohne ein weiteres Wort. Jetzt hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr warten konnte. Ich fuhr schnell durch die kleinen, zu dieser Stunde fast verlassenen Straßen.
    Das hier war eines der alten Dörfer mit Häusern, die teilweise noch aus der Kolonialzeit stammten. Eines in maurischem Stil mochte ich besonders. Solche Häuser sah man in El Biar auf den Höhen von Algier. Es war verlassen, wie viele andere auch. Die Fenster blickten hier nicht mehr wie früher auf üppige, grüne Parkanlagen und Gärten, sondern auf Betonklötze.
    Wir fu hren immer noch bergauf. Gélou ließ sich, ohne Fragen zu stellen, durch die Gegend fahren. Dort, wo ich sie hinbrachte, würde es ihr besser gehen. Endlich erschien der gewaltige, vergoldete Buddha am Hang eines Hügels. Er glänzte im Mondlicht. Heiter-majestätisch überragte er die Stadt. Der kürzlich erbaute Tempel beherbergte auch ein Zentrum für buddhistische Studien. Cue erwartete uns dort. Mit Naïma und Mathias.
    Dort hatte sie die beiden versteckt. Es war Cues Geheimplatz. Dort suchte sie Zuflucht, wenn es ihr schlecht ging. Zum Meditieren und Nachdenken. Neue Kraft schöpfen. Dort, wo ihr Herz war. Für immer. In Vietnam.
    Ich glaubte an keinen Gott. Aber es war ein heiliger Ort. Ein reiner Ort. Und es konnte nicht schaden, sagte ich mir, ab und zu mal saubere Luft zu atmen. Dort war Gélou gut aufgehoben. Bei ihnen. Sie hatten alle verloren in der Geschichte. Cue einen Mann. Mathias einen Freund. Naïma eine Liebe. Und Gélou alles. Sie würden sich um sie kümmern. Umeinander. Ihre Wunden pflegen.
    Am Eingang nahm uns ein Mönch in Empfang. Gélou klammerte sich an mir fest. Ich küsste sie auf die Stirn. Sie sah zu mir auf. Vor ihren Augen hing ein Schleier, der jeden Augenblick reißen musste.
    »Ich muss dir noch etwas sagen.«
    Und ich wusste, dass ich dieses Etwas lieber nie gehört hätte.

Einundzwanzigstes Kapitel
    In dem angewidert und v ö llig ersch ö pft
in die Luft gespuckt wird

    Ich fuhr mit dem Saab zurück. Ich hatte das Radio angestellt und war auf eine Sendung über den Ta ngo gestoßen. Edmundo Rivei ro sang Garuffa. Das passte jetzt am besten. Gélous Geständnis hatte mein Herz in ein Bandoneon verwandelt. Aber ich wollte nicht da - ran denken. Diese letzten Worte so weit wie möglich von mir weg - schieben. Sie am liebsten vergessen.
    Ich hatte das Gefühl, im Leben der anderen hin und her zu zappen. Unterwegs die Folgen einer Serie einzusammeln. Gélou und Gino. Guitou und Naïma. Serge und Redouane. Cue und Fabre. Pavie und Saadna. Ich kam immer am Ende an. Dem tödlichen. Dort, wo man stirbt. Immer um ein Leben zu spät. Ein Glück.
    So war ich also älter geworden. Zu zögerlich, um das Glück beim Schopf zu packen, wenn ich es vor der Nase hatte. Das hatte ich nie gekonnt. Auch keine Entscheidungen treffen. Oder Verantwortung übernehmen. Nichts von dem, was mir eine Zukunft beschert hätte. Aus Angst, zu verlieren. Und ich verlor. Ein Verlierer.
    In Caen hatte ich Magali wieder gesehen. In einem kleinen Hotel. Drei Tage bevor ich nach Dschibuti geflogen war. Wir hatten uns geliebt. Langsam und ausdauernd. Die ganze Nacht. Bevor sie am Morgen unter die Dusche gegangen war, hatte sie gefragt: »Was soll ich mal werden? Lehrerin oder Mannequin?« Ich hatte nur die Schultern gezuckt. Sie war ausgehfertig angezogen wiedergekom - men.
    »Hast du es dir überlegt?«, hatte sie gefragt.
    »Mach, was du willst«, hatte ich geantwortet. »Ich mag dich so, wie du bist.«
    »Schlauberger«, gab sie zurück und küsste mich flüchtig auf die Lippen. Ich hatte sie an mich gedrückt. Ich begehrte sie immer noch. »Ich werde zu spät zum Unterricht kommen.«
    »Bis heute

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