Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Abend.«
Die Tür war hinter ihr ins Schloss gefallen. Sie war nicht zurück - gekommen. Ich hatte sie nicht wieder gesehen, um ihr sagen zu können, dass ich mehr als alles im Leben wünschte, dass sie meine Frau würde. Ich hatte mich vor der entscheidenden Frage gedrückt. Der Entscheidung. Und es war mir keine Lehre gewesen. Ich weiß nicht, was aus Magali und mir geworden wäre. Aber Fonfon wäre mit Sicherheit stolz gewesen, uns beide glücklich zu sehen. Er wäre heute nicht allein. Ich auch nicht.
Als Carlos Gardel zu V olwer ansetzte, stellte ich das Radio ab. Es war besser, mit dem Tango und der Wehmut aufzuhören. Das wirkte wie eine Droge auf mich, und ich brauchte einen klaren Kopf. Um mich Narni zu stellen. Es gab noch Grauzonen um seine Person, die ich mir nicht erklären konnte. Warum hatte er sich erst gestern blicken lassen, wo er Naïma aus dem Dunklen weiter hätte verfol - gen können? Meinte er, mich besser in die Falle locken zu können, nachdem er Gélou nach Gap zurückgeschickt hatte? Es spielt keine Rolle mehr, sagte ich mir. Das waren seine Überlegungen. Und die waren mir scheißegal.
Ich nahm die Küstenschnellstraße. Über die Häfen. Nur, weil es mir Vergnügen bereitete, die Kais von oben zu sehen. An den Docks entlangzufahren. Das Lichtermeer der Fähren an den Kais zu genießen. Meine Träume waren noch da. Unversehrt. Bei den Schiffen, die gleich die Leinen losmachten. Fremde Häfen ansteuerten. Vielleicht sollte ich das tun. Heute Abend. Morgen. Fortgehen. Endlich. Alles hinter mir lassen. Auf Ugos Spuren in die Ferne schweifen. Afrika, Asien, Südamerika. Bis Puerto Escondi do. Er hatte noch ein Haus dort unten. Eine kleine Fischerhütte. Wie meins in Les Goudes. Auch mit einem Boot. Das hatte er Lole erzählt, als er zurückgekommen war, um Manu zu rächen. Lole und ich hatten oft darüber gesprochen. Dort hinzugehen. In dieses andere Haus am Ende der Welt.
Zu spät, wieder einmal. Würde ich endlich mit meinem Leben aufräumen, wenn ich Narni umbrachte? Aber unbeglichene Rech - nungen waren nicht für all meine Niederlagen verantwortlich. Und wie konnte ich überhaupt sicher sein, dass ich Narni töten würde? Weil ich nichts mehr zu verlieren hatte. Aber er hatte auch nichts mehr zu verlieren.
Und sie waren zu zweit.
Ich tauchte in den Tunnel am Alten Hafen ein und kam unter dem Fort Saint-Nicolas wieder zum Vorschein. Am früheren Trockendock. Ich fuhr am Quai de Rive-Neuve entlang. Es war die Stunde, zu der Marseille betriebsam wurde. Wenn die Frage nach dem Abendessen aufkam. Nach Art der Antillen. Brasilianisch. Afrikanisch. Arabisch. Griechisch. Armenisch. Wie auf La Réunion. Vietnamesisch. Italienisch. Provenzalisch. Der Marseiller Schmelz - tiegel hatte alles zu bieten. Für jeden Geschmack.
In der Rue Francis-Davso parkte ich in der zweiten Reihe neben meinem Wagen. Ich packte einige Kassetten und Redouanes Knarre in den Saab. Dann fuhr ich wieder los, passierte die Oper auf der Rue Molière, bog links in die Rue Saint-Saens und gelangte schließ - lich über die Rue Glandeves wieder zum Alten Hafen. Nur wenige Schritte vom Hotel Alizé entfernt. Ein Parkplatz empfing mich mit offenen Armen. Nur für mich. Zwischen Fußgängerzone und Bürgersteig. Er musste teuer sein, weil ihn niemand genommen hatte. Aber ich brauchte nur fünf Minuten, mehr nicht.
Kurz vor dem Hotel ging ich in eine Telefonzelle. Und rief Narni an. Da sah ich den Safrane, schön in der zweiten Reihe vor dem New York geparkt. Sicher mit Balducci am Steuer, so wie der Qualm aus dem Fenster stieg. Was für ein Glückstag, sagte ich mir. Sie dort zu wissen, war mir lieber als die Vorstellung, dass sie vor meinem Haus auf der Lauer lagen.
Narni antwortete sofort.
»Montale«, meldete ich mich. »Wir wurden einander noch nicht vorgestellt, du und ich. Aber das können wir jetzt nachholen, nicht wahr?«
»Wo ist Gélou?« Er hatte eine überraschend wohlklingende, ernste, warme Stimme.
»Zu spät, mein Lieber, dich um ihre Gesundheit zu sorgen. Ich denke nicht, dass du sie jemals wieder sehen wirst.«
»Weiß sie Bescheid?«
»Sie weiß Bescheid. Alle wissen es. Sogar die Bullen wissen es . Uns bleibt nicht viel Zeit, wenn wir das unter uns regeln wollen.«
»Wo bist du?«
»Zu Hause«, log ich. »Ich kann in einer Dreiviertelstunde da sein. Im New York. Einverstanden?«
»Okay. Ich werde da sein.«
»Allein«, fügte ich aus Spaß hinzu.
»Allein.«
Ich hängte auf und wartete.
Er
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