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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Existenzberechtigung ist

    Sonia hatte eine Notiz neben den Autoschlüsseln auf dem Tisch hinterlassen. »Du warst zu voll. Schade. Ruf mich heute Abend an. Gegen sieben. Kuss.« Ihre Telefonnummer folgte. Die entscheiden - den zehn Ziffern einer Einladung zum Glück.
    Sonia. Ich lächelte bei der Erinnerung an ihre grau-blauen Augen, ihren heißen Schenkel an meinem. Und auch an ihr Lächeln, wenn es ihr Gesicht erhellte. Meine einzigen Erinnerungen an sie. Aber doch schöne Erinnerungen. Ich konnte den Abend kaum erwarten. Mein Glied auch nicht, es regte sich schon in meinen Shorts, wenn ich nur an sie dachte.
    Mein Kopf war schwer wie ein Gebirge. Ich zögerte zwischen Dusche und Kaffee. Der Kaffee gewann. Und eine Zigarette. Der erste Zug zerriss mir die Eingeweide. Ich dachte, sie würden mir hochkommen. »Sauerei!«, fluchte ich und nahm noch einen Zug, aus Prinzip. Der zweite Anfall von Übelkeit war noch heftiger. Er über - traf die Hammerschläge in meinem Schädel um Längen.
    Ich krümmte mich über der Küchenspüle zusammen. Aber ich hatte nichts zu erbrechen. Nicht einmal meine Lungen. Noch nicht! Wo war die Zeit geblieben, in der ich mit dem ersten Zug aus der ersten Zigarette sämtliche Lebensgeister in mir weckte? Lang, lang vergangen. Die Dämonen, Gefangene meiner Brust, hatten nicht mehr viel zu fressen. Weil Gewöhnung an das Leben noch keine Existenzberechtigung ist. Das Würgegefühl in meinem Hals erin - nerte mich jeden Morgen daran.
    Ich hielt den Kopf unter den Kaltwasserstrahl und stöhnte laut auf, dann reckte ich mich und holte tief Luft, ohne die Kippe loszulassen, die mir die Finger verbrannte. Ich trieb in letzter Zeit nicht mehr genug Sport. Ging auch nicht mehr oft genug in den Buchten wandern. Oder trainierte regelmäßig in Mavros' Boxstudio. Gutes Essen, Alkohol, Zigaretten. »In zehn Jahren bist du tot, Montale«, sagte ich mir. »Tu was, verdammt noch mal!« Sonia fiel mir wieder ein. Mit mehr und mehr Lust. Dann schob sich Babettes Bild über Sonias.
    Wo steckte Babette? Worauf hatte sie sich da eingelassen? Der Kerl am Telefon hatte keine leeren Drohungen ausgestoßen. Jedes Wort wog zentnerschwer, das hatte ich gespürt. Sein schneidender Ton. Ich drückte die abgebrannte Zigarette aus und zündete eine neue an, während ich mir Kaffee einschenkte. Ich nahm einen großen Schluck, sog den Rauch tief ein und ging auf die Terrasse hinaus.
    Die sengende Sonne schlug mir brutal entgegen. Flimmerte vor den Augen. Schweiß floss aus allen Poren. Mir wurde schwindlig. Einen Augenblick dachte ich, ich würde umkippen. Aber nein. Der Boden meiner Terrasse fand sein Gleichgewicht wieder. Ich machte die Augen wieder auf. Dort vor mir lag das einzige Geschenk des Lebens, das ich jeden Tag bekam. Unversehrt. Das Meer. Der Himmel. Bis zum Horizont. In diesem unvergleichlichen Lichtspiel zwischen beiden. Oft dachte ich, dass mit einer Frau zu schlafen etwas von diesem grenzenlosen Glück festhielt, das vom Himmel auf das Meer hinabsteigt.
    Hatte ich Sonias Körper in jener Nacht an mich gedrückt? Wenn Sonia mich nach Hause begleitet hatte, wie war sie dann zurück - gekommen? Hatte sie mich ausgezogen? Hatte sie hier geschlafen? Mit mir? Hatten wir uns geliebt? Nein. Nein, du warst zu besoffen. Sie hat es dir geschrieben.
    Honorines Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
    »Sagen Sie mal, haben Sie gesehen, wie spät es ist!«
    Ich drehte mich zu ihr um. Honorine. Meine alte Honorine. Sie war die Einzige, die mir von meinem verbrauchten Leben geblieben war. Treu bis zum Schluss. Sie hatte jenes Alter erreicht, in dem man nicht mehr älter wird. Vielleicht ein paar Falten mehr jedes Jahr. Ihr Gesicht war nur leicht runzelig, als seien die schweren Schicksals - schläge spurlos an ihr vorbeigegangen, ohne ihre Lebensfreude zähmen zu können. »Glücklich die Lebenden, die all das gesehen haben«, sagte sie oft und zeigte auf den Himmel und das Meer mit seinen fernen Inseln vor unseren Augen. »Ach, allein dafür lohnt es sich, auf der Welt zu sein. Trotz allem, was ich durchgemacht ha - be ...« An der Stelle brach ihr Satz immer ab. Als ob sie ihre einfache Lebensfreude nicht mit Kummer und Elend besudeln wollte. Sie erinnerte sich nur an die guten Dinge. Ich liebte sie. Sie war die Mutter aller Mütter. Und sie war nur für mich da.
    Sie öffnete die kleine Pforte zwischen unseren Terrassen und kam mit ihrem Einkaufskorb in der Hand schlurfend, aber immer noch sicheren Schrittes auf mich

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