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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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zu.
    »Es ist fast Mittag, hören Sie mal!«
    Mit einer vagen Geste umfasste ich Himmel und Meer.
    »Es sind Ferien.«
    »Ferien sind für Leute, die arbeiten ... «
    Davon war Honorine seit Monaten wie besessen. Arbeit für mich zu finden. Dass ich Arbeit suchte. Sie konnte es nicht ertragen, dass »ein so junger Mann wie Sie« den ganzen Tag nichts tat.
    Genau genommen stimmte das nicht mehr ganz. Seit über einem Jahr vertrat ich Fonfon jeden Nachmittag hinter seiner Theke. Von zwei bis sieben. Er hatte überlegt, ob er seine Bar schließen sollte. Verkaufen. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen. Nachdem er so viele Jahre seine Gäste bedient, mit ihnen palavert und gestritten hatte, hätte Schließen seinen Tod bedeutet. Eines Morgens hatte er mir seine Bar angeboten. Für einen symbolischen Franc.
    »Dann könnte ich hin und wieder kommen und dir zur Hand gehen«, hatte er gemeint. »So zur Aperitifzeit. Nur, damit ich was zu tun hab, verstehst du.«
    Ich hatte abgelehnt. Er behielt seine Kneipe, und ich kam ihm helfen.
    »Gut, dann also nachmittags.«
    Darauf hatten wir uns geeinigt. Es brachte mir etwas Kleingeld für Benzin, Kippen und meine nächtlichen Spritztouren in die Stadt. In meinem Sparschwein hatte ich noch etwa hunderttausend Francs. Das war nicht viel, Geld ging schnell weg, aber ich konnte die Dinge auf mich zukommen lassen. In aller Ruhe sogar. Ich brauchte immer weniger. Das Schlimmste, was mir passieren k onnte, war, dass mein alter R5 den Geist aufgab und ich mir einen neuen kaufen musste.
    »Honorine, fangen wir nicht wieder damit an.«
    Sie starrte mich an. Gerümpfte Nase, zusammengepresste Lippen. Ihre ganze Mimik sollte Strenge ausdrücken, aber die Augen spielten nicht mit. Sie schwammen in Zärtlichkeit. Honorine redete mir nur aus Liebe ins Gewissen. Aus Angst, dass es mir schadete, so weiterzumachen, ohne etwas zu tun. Müßiggang ist aller Laster Anfang, das ist bekannt. Wie oft war sie mir, Ugo und Manu mit diesem Spruch auf die Nerven gegangen, wenn wir hier herum - hingen. Wir antworteten mit Baudelaire. Verse aus den Blumen des Bösen. Glück, Luxus, Ruhe und Lust. Dann stauchte sie uns zusam - men. Ich brauchte ihr nur in die Augen zu sehen, und schon wusste ich, ob sie wirklich wütend war oder nicht.
    Vielleicht hätte sie uns wirklich härter rannehmen sollen. Aber Honorine war nicht unsere Mutter. Wie hätte sie auch ahnen können, dass aus dummer Spielerei ernsthafte Dummheiten werden würden? Für sie waren wir nur Jugendliche, nicht besser oder schlechter als andere. Außerdem schleppten wir immer jede Menge Bücher mit uns rum, aus denen sie uns abends am Meer von ihrer Terrasse aus laut vorlesen hörte. Honorine hatte immer geglaubt, Bücher machten weise, intelligent und seriös. Nicht, dass sie zu Ein - brüchen in Apotheken und Tankstellen führen konnten. Oder dazu, auf Leute zu schießen.
    Als ich mich vor dreißig Jahren von ihr verabschiedet hatte, funkelte Wut in ihren Augen. Schäumende Wut, die ihr die Sprache verschlug. Ich hatte mich für fünf Jahre in der Kolonialarmee verpflichtet. Richtung Dschibuti. Eine Flucht aus Marseille. Und vor meinem Leben. Weil ich mit Ugo und Manu die Grenze überschritten hatte. Manu hatte in der Rue des Trois-Mages aus Panik auf einen Apotheker geschossen, den wir um seine Einnahmen erleichtert hatten. Am nächsten Morgen hatte ich in der Zeitung gelesen, dass dieser Mann, Familienvater, für den Rest seines Lebens gelähmt sein würde. Mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, was wir getan hatten.
    Seit jener Nacht hatte ich panische Angst vor Waffen. Mein Poli - zeidienst hatte daran nichts geändert. Ich konnte mich nie dazu durchringen, eine Waffe zu tragen. Ich habe oft mit meinen Kollegen darüber diskutiert. Natürlich konnten wir auf einen Gewalttäter, einen psychisch Gestörten, einen Ganoven stoßen. Die Liste der Totschläger, Verrückten oder einfach Verzweifelten, die unseren Weg eines Tages kreuzen konnten, war lang. Es war mir oft genug passiert. Aber am Ende dieses Weges sah ich immer Manu, seine Knarre in der Hand. Und hinter ihm Ugo. Und mich nicht weit weg.
    Manu war von Ganoven umgelegt worden. Ugo von den Bullen. Ich lebte noch. Weil ich Glück gehabt hatte. Das Glück, von einigen Erwachsenen lernen zu können, dass wir Menschen waren. Mensch - liche Wesen. Und dass es uns nicht zustand zu töten.
    Honorine hob ihren Korb auf.
    »Ach, was rede ich. Es stößt ja doch auf taube Ohren.«
    Sie zog

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