Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
sich wieder auf ihre Terrasse zurück. An der Pforte drehte sie sich noch einmal um: »Übrigens, fürs Essen, wie wärs, wenn ich ein Glas Paprika aufmache? Und ein paar Anchovis dazu. Ich mache einen großen Salat ... Bei dieser Hitze.«
Ich lächelte.
»Tomatenomelette wäre fein.«
»Oh! Was ist heute nur los mit euch! Fonfon will auch Tomaten - omelette.«
»Wir haben telefoniert.«
»Ah, machen Sie sich nur lustig!«
Seit einigen Monaten kochte Honorine auch für Fonfon. Abends aßen wir drei oft auf meiner Terrasse. Überhaupt verbrachten Fonfon und Honorine immer mehr Zeit miteinander. Vor ein paar Tagen hatte Fonfon sogar seine Nachmittagssiesta bei ihr gehalten. Gegen fünf kam er so verlegen in die Kneipe wie ein Junge, der zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hat.
Ich hatte ein wenig nachgeholfen, Fonfon und Honorine zusam - menzubringen. Es gefiel mir nicht, dass sie, jeder für sich, in Einsamkeit lebten. Ihre Trauer, ihre Treue dem geliebten Menschen gegenüber, hatten fast fünfzehn Jahre ihres Lebens verzehrt.
Das erschien mir mehr als genug. Es war keine Schande, sein Leben nicht allein beenden zu wollen.
Eines Sonntagmorgens hatte ich ein Picknick auf den Frioul-Inseln vorgeschlagen. Was für ein Theater war das, Honorine zu über - reden. Seit dem Tod ihres Mannes Toinou war sie nicht mehr in das Boot gestiegen. Ich war ein wenig ungeduldig geworden.
»Verdammt noch mal, Honorine! Seit ich dieses Boot habe, habe ich nur Lole darin mitgenommen. Euch zwei nehme ich mit, weil ich euch gern hab. Euch beide, ist das so schwer zu verstehen!«
Ihr waren die Tränen gekommen, dann hatte sie gelächelt. Da wusste ich, dass sie das Kapitel endlich abschloss, ohne ihr Leben mit Toinou zu verraten. Auf dem Rückweg hielt sie Fonfons Hand, und ich hatte sie flüstern hören: »Jetzt können wir sterben, nicht wahr?«
»Damit hat es noch etwas Zeit, oder?«, hatte er geantwortet.
Ich hatte mich abgewandt und meinen Blick über den Horizont schweifen lassen. Dorthin, wo das Meer dunkler wird. Tiefer. Ich hatte gedacht, dass die Lösung für all die Gegensätze des Lebens dort in diesem Meer lag. Im Mittelmeer. Und ich hatte mir vorge - stellt, darin aufzugehen. Mich aufzulösen und endlich zu lösen, was ich mein ganzes Leben nicht gelöst hatte und nie lösen würde.
Die Liebe dieser beiden Alten brachte mich zum Heulen.
Am Ende der Mahlzeit fragte Honorine, die erstaunlicherweise still geblieben war: »Was ich fragen wollte, die kleine dunkelhaarige Dame, die Sie letzte Nacht nach Hause gebracht hat, wird sie wiederkommen? Sonia, stimmts?«
Ich war überrascht.
»Weiß nicht. Warum?«, stotterte ich, fast ein wenig beunruhigt.
»Weil sie mir einen sehr netten Eindruck macht. Da dachte ich, nun ja ...«
Das war noch so eine Zwangsvorstellung Honorines. Dass ich eine Frau fand. Eine hübsche Frau, die für mich sorgte, auch wenn ihr die Vorstellung, dass eine andere Frau als sie selber für mich kochen könnte, das Herz brach.
Ich hatte ihr schon unzählige Male erklärt, dass es in meinem Leben nur Lole gab. Sie war nicht mehr da. Weil ich es nicht verstanden hatte, ihren Ansprüchen zu genügen. Und der größte Schmerz, den ich ihr hatte zufügen können ‒ daran zweifelte ich heute nicht mehr ‒ , war, sie zum Gehen zu zwingen. Mich zu verlassen. Davon wurde ich nachts oft wach, von diesem Schmerz, den ich ihr zugefügt hatte. Ihr. Uns.
Aber ich hatte mein ganzes Leben auf Lole gewartet, und ich hatte nicht vor, jetzt aufzugeben. Ich brauchte den Glauben, dass sie wiederkam. Dass wir von vorn anfangen würden. Damit unsere Träume, unsere alten Träume, die uns schon so viel Glück beschert hatten, sich endlich entfalten konnten. Frei. Ohne Angst oder Zweifel. Ganz im Vertrauen.
Wenn ich das sagte, sah Honorine mich traurig an. Sie wusste, dass Lole heute ihr eigenes Leben in Sevilla lebte. Mit einem Gitarristen, der von Flamenco auf Jazz umgestiegen war. In Django Reinhardts vorbildliche Fußstapfen. So wie Bireli Lagrène. Lole hatte sich schließlich dazu durchgerungen, für gadjos, also Nicht - zigeuner, zu singen. Seit einem Jahr hatte sie in der Gruppe ihres Freundes mitgemacht und trat in Konzerten auf. Sie hatten zusammen ein Album aufgenommen. Alle großen Standards des Jazz. Sie hatte es mir geschickt, mit den kurzen Worten: »Und wie gehts dir?«
I Can't Give You Anything But Love, Baby ... Über das erste Stück war ich nicht hinausgekommen. Nicht, dass es nicht gut war,
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