Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
rankam.
»Was die Flics betrifft?«, nahm sie den Faden wieder auf.
»Man kann sagen, es läuft gut zwischen ihnen und der Mafia. Der Informationsaustausch.«
Der Gangsterboss Jean-Louis Fargette, berichtete Babette in ihrer Dokumentation über das Departement Var, hatte seit Jahren von Polizeibeamten die telefonis che Überwachung gewisser Politi ker gekauft. Nur um sicherzugehen, dass sie sich auch an die Provi— sionen hielten, die ihm zustanden. Damit er Druck auf sie ausüben konnte, falls nötig. Denn einige dieser telefonischen Überwachun— gen bezogen sich auf ihr Privatleben. Ihr Familienleben. Ihre ab— normen sexuellen Neigungen. Prostitution. Pädophilie.
Hélène Pessayre sog ausgiebig an ihrer Zigarette. Wie Lauren I Bacali. Und mit Natürlichkeit dazu. Sie hatte mir ihr Gesicht I zugewandt, aber ihre Augen blickten weit in die Ferne. In ein Irgendwo, wo sie zweifellos ihre Gründe hatte, Flic zu sein.
»Was noch?«, fragte sie und brachte ihren Blick zu mir zurück.
»Alles, was Sie immer wissen wollten. Hier ...»
Ich hatte einen weiteren Auszug der Nachforschungen vor Augen, mit deren Zusammenfassung Babette begonnen hatte. »Legale und illegale Geschäfte sind immer mehr miteinander ver schränkt und führen so zu einem grundlegenden Wandel der Strukturen des Nachkriegskapitalismus. Die Mafiosi investieren in legale Geschäfte, und umgekehrt lassen sie diese Geldmittel in die kriminelle Wirt - schaft fließen. Dazu bringen sie Banken oder Geschäftsunternehmen unter ihre Kontrolle, die mit Geldwäsche oder kriminellen Orga - nisationen zu tun haben.
Die Banken geben vor, in gutem Glauben zu handeln. Ihre Direk - toren wollen nichts von der Herkunft der eingezahlten Gelder wis - sen. Die großen Banken lassen sich nicht nur gegen saftige Kommissionen auf Geldwäsche ein, sie geben den kriminellen Mafiosi auch Kredite zu erhöhten Zinssätzen, sodass die produktiven Investitionen in Industrie oder Landwirtschaft zu kurz kommen.
Es gibt eine direkte Verbindung zwischen der weltweiten Verschuldung, illegalem Handel und Geldwäsche. Seit der Schuldenkrise Anfang der Achtzigerjahre sind die Rohstoffpreise gesunken, was dramatische Einbußen für die Entwicklungsländer zur Folge hatte. Als Auswirkung der von internationalen Gläubigern vorgeschriebenen Sparmaßnahmen werden Beamte entlassen, nationale Unternehmen zu Schleuderpreisen verkauft, öffentliche Investitionen auf Eis gelegt und Kredite für die Landwirtschaft und die Industrie gekürzt. Mit der schleichenden Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen steckt die legale Wirtschaft in einer Krise.«
So weit war es gekommen, hatte ich mir an dem Abend gesagt, als ich diese Sätze las. Zu diesem menschlichen Elend, das sich schon auf allen Feldern breit machte, die wir Zukunft nannten. Wie hoch war die Geldstrafe jener Familienmutter gewesen, die im Super - markt Steaks geklaut hatte? Wie viele Monate Gefängnis hatten die Straßburger Jungs für zerschlagene Bus-oder Haltestellenscheiben der Stadt aufgebrummt bekommen?
Fonfons Worte kamen mir in den Sinn. Eine Zeitung ohne Moral ist keine Zeitung. Ja, und eine Gesellschaft ohne Moral ist keine Gesellschaft mehr. Oder ein Land ohne Moral. Es war einfacher, Arbeitslosenkomitees von der Polizei aus den Arbeitsämtern ver - scheuchen zu lassen, als das Übel an der Wurzel zu packen. Diese Verruchtheit, die die Menschen bis auf die Knochen zermürbte.
Der Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa erklärte am Ende seines Gesprächs mit Babette: »Wir haben vor über zwei Jahren Gelder aus dem Drogenhandel in Frankreich einfrieren lassen. Die Verant - wortlichen sind verurteilt worden, aber die französische Justiz hat trotz unserer wiederholten Hinweise noch immer keinen Heraus - gabeantrag vorgelegt.«
Ja, so weit war es gekommen, bis zu diesem Punkt null der Moral.
Ich sah Hélène Pessayre an.
»Es würde zu lange dauern, das zu erklären. Lesen Sie sie, wenn Sie können. Ich habe bei der Namensliste aufgehört. Mir fehlte einfach der Mut, den Rest zu erfahren. Ich war mir nicht sicher, ob ich danach noch Glück empfinden könnte, wenn ich von meiner Terrasse aufs Meer sehe.«
Sie hatte gelächelt.
»Woher haben Sie diese Disketten?«
»Von einer Freundin. Einer befreundeten Journalistin. Babette Bellini. Sie hat die letzten Jahre mit diesen Nachforschungen verbracht. Sie war wie besessen davon.«
»Was hat das mit dem Tod von Sonia de Luca und Georges Mavros zu tun?«
»Die Mafia hat
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