Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
dem Moment nahm mir den Atem.
Wenn sie sich später auf ebendiesem Sofa an mich schmiegte, atmete ich den Duft ihrer feuchten Haut und die Wärme ihres ebenso festen wie zerbrechlichen Körpers. Eine Flut von Gefühlen überschwemmte uns. Die Zeit der kurzen Sätze. »Ich liebe dich ... Hier fühle ich mich wohl, weißt du ... Ich bin glücklich ... Und du?«
Das Album von Ruben Gonzales lief. Alto songo, Los sitio asere, Pio mentiroso ...
Monate, Wochen, Tage. Bis zu diesen Worten, die nicht kommen wollen, zögernd, in zu langen Sätzen. »Ich werde dich für immer in meinem Herzen bewahren. Ich will dich nicht verlieren, nicht ganz. Ich möchte nur eins, dass wir uns nahe bleiben, dass wir uns weiter lieben ...«
Die Tage und die letzten Nächte. »In meinem Herzen bleibt ein großer Platz für dich. Du wirst immer einen großen Raum in meinem Leben einnehmen ...«
Lole . Ihre letzten Worte. »Lass dich nicht gehen, Fabio.«
Und jetzt der Tod, der in der Luft hing. In nächster Nähe. Und sein aufdringlicher Geruch. Das einzige Parfüm, das mir in einsamen Nächten geblieben war. Der Geruch des Todes.
Ich trank mit geschlossenen Augen aus. Enzos Gesicht. Seine grau-blauen Augen. Sonias Augen. Und Enzos Tränen. Wenn ich diesen wahnsinnigen Halsabschneider tötete, dann für ihn. Nicht für Sonia. Nicht einmal für Mavros. Nein. Das wurde mir jetzt bewusst. Es wäre für dieses Kind. Nur für Enzo. Für all die Dinge, die ein Kind in dem Alter nicht versteht. Tod. Trennungen. Abwesenheit. Diese erste aller Ungerechtigkeiten: die Abwesenheit des Vaters, der Mutter.
Enzo. Enzo, mein Kleiner.
Wozu waren Tränen denn gut, wenn sie im Herzen des anderen nicht auf fruchtbaren Boden fielen? In meinem.
Ich hatte mir gerade nachgeschenkt, als Hélène Pessayre an die Tür klopfte. Ich hatte beinahe vergessen, dass sie kommen wollte. Es war fast Mitternacht.
Eine leichte Unsicherheit trat zwischen uns. Ein Zögern zwischen Händeschütteln und Umarmen. Wir taten nichts dergleichen, und ich bat sie herein.
»Kommen Sie rein«, sagte ich.
»Danke.«
Wir waren plötzlich verlegen.
»Ich führe Sie nicht herum, es ist zu klein.«
»Immer noch größer als bei mir, soweit ich sehen kann. Da.«
Sie reichte mir eine CD. Gianmaria Testa. Extra-Muros.
»So können Sie sie ganz hören.«
Beinahe hätte ich geantwortet: »Dazu hätte ich mich auch bei Ihnen einladen können.«
»Danke. Jetzt müssen Sie mich besuchen, wenn Sie sie hören wollen.«
Sie lächelte. Ich sagte das nur, um etwas zu sagen.
»Möchten Sie ein Gläschen?«, fragte ich und deutete auf meins.
»Lieber Wein.«
Ich öffnete eine Flasche, einen Tempier 92, und schenkte ihr ein. Wir stießen an und tranken schweigend. Wagten kaum, uns anzu - sehen.
Sie trug ausgewaschene Jeans und ein weit offenes, dunkelblaues Leinenhemd über einem weißen T-Shirt. Langsam fragte ich mich, warum ich sie nie in Rock oder Kleid sah. Vielleicht mag sie ihre Beine nicht, dachte ich.
Mavros hatte eine Theorie darüber.
»Alle Frauen zeigen gern ihre Beine, auch wenn sie nicht wie bei einem Mannequin oder Filmstar aussehen. Das gehört zum Spiel der Verführung. Kannst du mir folgen?«
»Hmja.«
Er hatte festgestellt, dass Pascale seit jenem Abend bei Pierre und Marie, an dem sie Benoît kennen gelernt hatte, nur noch Hosen trug.
»Dabei kauft sie weiter Strumpfhosen, verstehst du. Sogar halterlose Strümpfe. Du weißt schon, die, die am Oberschenkel aufhören ... «
Vor Kummer hatte er eines Morgens in Pascales letzten Einkäufen herumgewühlt. Sie lebten seit einigen Wochen mehr schlecht als recht zusammen, während sie daraufwarteten, dass Bella und Jean das kleine Haus in der Rue Villa-Paradis freigaben. Pascale hatte am Abend vorher angekündigt, dass sie über das Wochenende fort sein würde. Sie hatte sich in Jeans zu Benoît aufgemacht, aber Mavros wusste, dass sie in ihrer kleinen Reisetasche Miniröcke und Strumpfhosen hatte. Und sogar halterlose Strümpfe.
»Stell dir das bloß mal vor, Fabio«, hatte er gesagt.
Eine halbe Stunde nachdem Pascale an jenem Freitagabend gegangen war, hatte er mich verzweifelt angerufen.
Ich hatte traurig über seine Worte gelächelt. Ich hatte nicht den Hauch einer Theorie über die Gründe, die eine Frau dafür haben mochte, morgens lieber einen Rock als eine Hose anzuziehen. Dabei hatte Lole es mit mir genauso gemacht. Das stellte ich bitter fest. Die letzten Monate hatte sie nur noch Jeans getragen. Und die
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