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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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sie.
    Ich konnte nicht sagen, ob sie das wirklich dachte. Sie schien woanders zu sein. Bei Babettes Disketten. Irgendwo dort, wo ihr Vater den Tod gefunden hatte. Ihr Blick kam auf mir zu ruhen. Liebevoll. Zärtlich. Am liebsten hätte ich sie in die Arme genommen und an mich gedrückt. Sie geküsst. Aber das war das Letzte, was ich tun sollte.
    »Mein Vater erhielt mehrere anonyme Briefe. Der letzte lautete folgendermaßen, ich habe es nicht vergessen: › Es ist sinnlos, Sicher - heitsmaßnahmen für Ihre Angehörigen zu treffen oder die Unterlagen in alle vier Ecken des Landes zu verstreuen. Uns entgeht nichts. Also kommen Sie gefälligst zur Vernunft, u nd lassen Sie die Sache fallen. ‹
    Meine Mutter weigerte sich, zu gehen, meine Brüder und ich ebenfalls. Wir glaubten nicht wirklich an diese Drohungen. › Alles nur Einschüchterungsversuche ‹, sagte mein Vater. Was ihn nicht daran hinderte, Polizeischutz zu fordern. Das Haus wurde rund um die Uhr bewacht. Und er war immer in Begleitung von zwei Beamten. Wir auch, nur diskreter. Ich weiß nicht, wie lange wir so hätten leben können ...«
    Sie hielt inne, betrachtete den Wein in ihrem Glas.
    »Eines Abends haben wir ihn in der Garage des Wohnhauses gefunden. Im Auto, mit durchtrennter Kehle.«
    Sie sah zu mir auf. Der Schleier, der den Glanz ihrer Augen eben noch getrübt hatte, war verflogen. Sie hatten ihr dunkles Leuchten wiedererlangt.
    »Die Tatwaffe war ein zweischneidiges Messer mit einer fast fünfzehn Zentimeter langen und gut drei Zentimeter breiten Klinge.«
    Jetzt sprach die Kommissarin. Die Mordspezialistin.
    »Genauso wie bei Sonia de Luca und Georges Mavros.«
    »Sie wollen doch nicht sagen, dass derselbe Mann ...«
    »Nein. Dieselbe Waffe. Derselbe Messertyp. Das sprang mir ins Auge, als ich den Bericht des Gerichtsmediziners über Sonias Tod sah. Das hat mich acht Jahre zurückversetzt, verstehen Sie?«
    Ich dachte daran, was ich ihr auf der Terrasse bei Ange um die Ohren geschlagen hatte, und war plötzlich gar nicht stolz auf mich.
    »Es tut mir Leid, was ich neulich gesagt habe.«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Aber es stimmt, ja, es stimmt, ich habe nichts anderes zu tun im Leben. Nur das, ja. Ich habe es so gewollt. Einzig und allein aus dem Grund bin ich Polizistin geworden. Das Verbrechen jagen. Vor allem das organisierte Verbrechen. Das ist jetzt mein Leben.«
    Wo nahm sie nur so viel Entschlossenheit her? Sie stellte das ohne Leidenschaft fest. Kalt.
    »Man kann nicht für die Rache leben«, sagte ich, weil ich mir dachte, das würde sie eigentlich denken.
    »Wer hat von Rache gesprochen? Ich brauche meinen Vater nicht zu rächen. Ich will einfach nur weiterfuhren, was er angefangen hat. Auf meine Art. In einer anderen Funktion. Der Killer ist nie gefasst worden. Die Untersuchung ist schließlich eingestellt worden. Deshalb die Polizei ... Die Entscheidung, zur Polizei zu gehen.«
    Sie nahm einen Schluck Wein und fuhr fort: »Rache führt zu nichts. Genauso wenig wie der Pessimismus, das habe ich Ihnen schon mal gesagt. Man muss nur entschlossen sein.«
    Sie sah mich an und fügte hinzu: »Und realistisch.«
    Realismus. Für mich diente dieses Wort nur dazu, moralische Bequemlichkeit, schäbiges Handeln und mickrige Unterlassungen zu rechtfertigen, wie sie die Menschen jeden Tag begingen. Realismus war auch die Dampfwalze, die es denjenigen, die in die - ser Gesellschaft Macht oder auch nur Teile davon besaßen, erlaubte, alle anderen zu zermalmen.
    Ich wollte mich lieber nicht mit ihr streiten.
    »Sie antworten nicht?«, fragte sie mit einer Spitze Ironie.
    »Realistisch sein heißt sich unterkriegen lassen.«
    »Das habe ich mir auch gesagt.«
    Sie lächelte.
    »Ich wollte nur sehen, ob Sie reagieren oder nicht.«
    »Nun ... Ich hatte Angst, mir eine Ohrfeige einzufangen.«
    Sie lächelte wieder. Ich mochte ihr Lächeln. Die beiden Grübchen, die sich dabei in ihre Wangen gruben. Dieses Lächeln wurde mir langsam vertraut. Hélène Pessayre auch.
    »Fabio«, sagte sie.
    Es war das erste Mal, dass sie mich beim Vornamen nannte. Und es gefiel mir sehr, wie sie meinen Vornamen aussprach. Dann machte ich mich auf das Schlimmste gefasst.
    »Ich habe die Dokumente auf der schwarzen Diskette geöffnet. Ich habe sie gelesen.«
    »Sie sind wahnsinnig!«
    »Es ist wirklich abscheulich.«
    Sie war wie erstarrt.
    Ich reichte ihr meine Hand. Sie legte ihre darauf und drückte sie. Kräftig. Alles, was zwischen uns möglich und unmöglich war,

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