Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
politisch.«
Man brauchte nicht erst die schwarze Diskette zu lesen, um das zu verstehen. Babette hatte geschrieben: »Dieses neue, internationale, finanzielle Umfeld ist fruchtbarer Boden für die Kriminalisierung der Politik. Zurzeit entfalten sich starke Lobbys, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen und versteckt agieren. Kurz, die Verbrechersyndikate üben ihren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Staaten aus.
In den Ländern der neuen Marktwirtschaft und damit offensichtlich in der Europäischen Union haben führende Politiker und Regierungsbeamte Loyalitätsverbindungen mit dem organisierten Verbrechen gestrickt. Die Beschaffenheit des Staates sowie die Gesellschaftsstrukturen sind im Wandel begriffen. In der Europä - ischen Union beschränkt sich diese Situation keineswegs auf Italien, wo die Cosa Nostra die Spitzen des Staats flächendeckend in ihren Fängen hat ...«
Als Babette auf die tatsächliche Lage in Frankreich zu sprechen kam, entwarf sie ein erschreckendes Bild. Der mit Unterstützung gewählter Repräsentanten und Industrieller geführte Krieg gegen den Rechtsstaat würde aufgrund enorm hoher finanzieller Einsätze brutal und erbarmungslos sein. »Gestern«, betonte sie, »konnte eine störende Abgeordnete ermordet werden. Morgen könnte ein hoher Würdenträger des Staats an der Reihe sein. Ein Präfekt, ein Minister. Heute ist alles möglich.«
»Wir sind nichts für sie. Nur Figuren in einem Schachspiel.«
Fonfon ließ mich nicht aus den Augen. Er war ernst. Er blickte wieder zu Honorine. Zum ersten Mal sah ich sie so, wie sie waren. Alt und müde. Älter und müder denn je. Ich wünschte, dass das alles nicht existierte. Aber es existierte wirklich. Und wir waren, ohne es zu wollen, auf dem Schachbrett des Bösen. Aber vielleicht waren wir schon immer da gewesen? Ein Zufall, ein Zusammentreffen, würde es uns zeigen. Das war Babette. Dieser Zufall. Dieses Zusammentreffen. Und wir wurden zu Schachfiguren. Bis zum Tod.
Sonia. Georges.
Wie das alles beenden?
Babette zitierte einen Bericht der Vereinten Nationen, in dem es hieß: »Die Verstärkung der Behörden, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung der Gesetze auf internationaler Ebene zu gewährleisten, ist nur ein Notbehelf. Mangels einer gleichzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wird das organisierte Verbrechen sich auf globaler und strukturierter Ebene hartnäckig halten.«
Wie sollten wir aus all dem herauskommen? Wir. Fonfon, Honorine, Babette und ich?
»Nehmen Sie keinen Käse nach? Ist er nicht gut, der Provolone?«
»Doch, Honorine, er ist köstlich. Aber ...«
»Na los«, sagte Fonfon mit falscher Fröhlichkeit, »ein kleines Stück, nur damit wir noch einen Schluck trinken können.«
Er bediente mich, ohne Widerrede zu dulden.
Ich glaubte nicht an den Zufall. Oder an Zusammentreffen. Sie sind nur ein Zeichen dafür, dass wir die Grenze der Wirklichkeit überschritten haben. Dort, wo es keine gütliche Einigung mit dem Unerträglichen gibt. Das Denken des einen trifft auf das Denken des anderen. Wie in der Liebe. Wie in der Hoffnung. Deswegen hatte Babette sich an mich gewandt. Weil ich bereit war, ihr zuzuhören. Ich ertrug das Unerträgliche nicht mehr.
Siebzehntes Kapitel
In dem dargelegt wird, dass Rache zu
nichts f ü hrt und Pessimismus auch nicht
Ich war in Gedanken verloren. Ungeordnete Gedanken, wie so oft. Chaotisch und zwangsläufig alkoholisiert. Ich hatte bereits zwei große Gläser Lagavulin intus. Das erste fast auf ex, als ich in meine kleine Hütte zurückkam.
Die Bilder von Sonia verblassten mit beängstigender Geschwin - digkeit. Als wenn sie nur ein Traum gewesen wäre. Knapp drei Tage. Die Wärme ihres Schenkels an meinem, ihr Lächeln. Die dürftigen Erinnerungen zerstoben. Sogar das Graublau ihrer Augen verschwamm. Ich verlor sie. Allmählich machte Lole sich wieder in meinen Gedanken breit. Dort würde sie für immer zu Hause sein. Ihre langen, schlanken Finger schienen die Koffer unseres gemein - samen Lebens wieder zu öffnen. Die vergangenen Jahre begannen erneut vor meinen Augen zu tanzen. Lole tanzte. Tanzte für mich.
Ich saß auf dem Sofa. Sie hatte Amor verdadero von Rub é n Gonz á les aufgelegt. Mit geschlossenen Lidern, die rechte Hand in sanfter Schwebe über dem Bauch und die linke erhoben, bewegte sie sich kaum merklich. Nur ihre wiegenden Hüften versetzten den Körper in rhythmische Schwingungen. Ihren ganzen Körper. Ihre Schönheit in
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