Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
schien in diesem Händedruck zu liegen.
Wir mussten uns zunächst einmal von dem Tod befreien, der uns die Luft zum Atmen nahm, dachte ich. Auch ihre Augen schienen das in dem Moment zu sagen. Und es war wie ein Schrei. Ein stummer Schrei in Anbetracht so vieler Schrecken, die noch vor uns lagen.
Achtzehntes Kapitel
In dem man dem Tod umso n ä her kommt,
je weniger man dem Leben zugesteht
Die Toten sind endgültig tot, dachte ich, während ich Hélène Pessayres Hand noch immer festhielt. Aber wir, wir müssen weiterleben.
»Wir müssen den Tod besiegen«, sagte ich.
Sie schien nicht zuzuhören. Sie war in Gedanken verloren, irgend - wo.
»Hélène?«, sagte ich und drückte sanft ihre Finger.
»Ja, natürlich«, meinte sie. »Natürlich ...«
Sie lächelte müde, dann löste sie ihre Hand langsam aus meiner und stand auf. Sie machte ein paar Schritte im Zimmer.
»Es ist schon lange her, seit ich einen Mann gehabt habe«, murmelte sie leise. »Ich meine, einen Mann, der nicht im Morgengrauen geht und sich eine gute Entschuldigung sucht, warum er mich am Abend nicht wiedertreffen kann oder an einem anderen Abend.«
Ich stand auf und ging zu ihr.
Sie stand vor meiner Terrassentür. Die Hände in den Hosentaschen, wie an dem Morgen am Hafen. Ihr Blick verlor sich in der Dunkelheit. Über dem Meer. Zu jenem anderen Ufer, von dem sie eines Tages gekommen war. Ich wusste, dass man Algerien nicht vergessen konnte, wenn man dort geboren, dort aufgewachsen war. Didier Perez war eine unerschöpfliche Quelle zu diesem Thema. Aus seinen Erzählungen wusste ich über alle Jahreszeiten in Algier Bescheid, ihre Tage und Nächte. »Die stillen Sommerabende ...« Sehnsucht stieg ihr in die Augen. Dieses Land fehlte ihr gewaltig. Und mehr als alles andere die stillen Sommerabende. Diese kurzen Augenblicke, die für sie immer wie ein Glücksversprechen waren. Ich war überzeugt, dass das alles in Helenes Herz verborgen lag.
»Die Absurdität regiert, doch in der Liebe liegt die Rettung«,
fuhr sie fort und sah mich an. »Das hat Camus gesagt. All die Leichen, der Tod, mit dem ich jeden Tag zu tun habe ... All das hat mich der Liebe entfremdet. Sogar der Lust ...«
»Hélène.«
»Machen Sie sich nichts draus, Montale. Es tut mir gut, diese Dinge auszusprechen. Sie Ihnen gegenüber auszusprechen.«
Ich konnte fast körperlich spüren, wie sie in ihrer Vergangenheit wühlte.
»Der letzte Mann, mit dem ich zusammen war ...«
Sie holte ihre Zigarettenschachtel aus der Hemdtasche und bot mir eine an. Ich gab ihr Feuer.
»Es ist, als wenn die Kälte bei mir eingezogen wäre, verstehen Sie? Dabei habe ich ihn geliebt. Aber seine Zärtlichkeiten ... Ich hatte keine Empfindungen mehr.«
Noch nie hatte ich mit einer Frau über diese Dinge gesprochen. Über diesen Moment, in dem der Körper sich verschließt und nur so tut, als ob er da wäre.
Ich hatte lange versucht, meine letzte Liebesnacht mit Lole wieder zu finden. Das letzte Mal, als wir uns liebevoll geküsst hatten. Das letzte Mal, als sie ihren Arm um meine Taille gelegt hatte. Ich hatte Stunden damit verbracht, ohne Erfolg, versteht sich. Ich erinnerte mich nur an diese Nacht, als meine Hand, meine Finger, nachdem ich sie lange am ganzen Körper gestreichelt hatte, an ihrem völlig trockenen Geschlecht verzweifelten.
»Ich hab keine Lust«, hatte sie gesagt.
Sie hatte sich an mich geschmiegt, den Kopf in meiner Schulterkuhle. Mein Glied war an ihrem heißen Bauch erschlafft. »Macht nichts«, hatte ich gemurmelt.
»Doch.«
Auch ich wusste, dass es ernst war. Seit einigen Monaten schliefen wir immer seltener miteinander, und Lole war jedes Mal lustloser. Einmal, als ich immer wieder langsam in sie eindrang, merkte ich, dass sie völlig abwesend war. Ihr Körper war da. Aber sie selbst war weit weg. Schon. Ich konnte keine Befriedigung empfinden. Ich hatte mich zurückgezogen. Keiner von uns hatte sich gerührt. Wir hatten kein Wort gesprochen. Bis der Schlaf uns davontrug.
Ich sah Hélène an.
»Sie haben ihn einfach nur nicht mehr geliebt, diesen Mann. Das ist alles.«
»Nein ... Nein. Ich habe ihn geliebt. Wahrscheinlich liebe ich ihn immer noch. Ich weiß es selbst nicht mehr. Ich vermisse seine Hände auf meinem Körper. Manchmal werde ich nachts davon wach. Aber immer seltener, das stimmt.«
Nachdenklich zog sie an ihrer Zigarette.
»Nein, ich fürchte, es ist sehr viel ernster. Ich habe das Gefühl, dass der Schatten des Todes schleichend von meinem
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