Marsha Mellow
jetzt un bedingt allein sein . Die veranstaltet aber auch immer ein Theater!
Auf der Taxifahrt zurück nach Crouch End will ich von Ant wissen, ob er, nach dem ganzen Chaos und der Hysterie, die er soeben mitverfolgen konnte, nach wie vor der Meinung ist, dass ich meinen Eltern die Sache mit Marsha Mellow beichten soll.
»Worauf du Gift nehmen kannst, Schätzchen«, kommt seine Antwort ohne Zögern. »Schließlich hast du mit deiner ganzen Heimlichtuerei gehörig zu der ganzen Verwirrung beigetragen. Du musst dem endlich ein Ende setzen.«
Mit Sicherheit die ehrlichsten Worte, die ich jemals nach zwei Uhr morgens zu hören bekommen habe. Und auch die deprimierendsten.
3.15 Uhr: Da ich nicht schlafen kann, zwinge ich Ant, mit mir zusammen meine restlichen Alkoholbestände zu vernichten - vor lauter Stress haben wir auf dem Rückflug gar nicht daran gedacht, im Dutyfree einzukaufen. Ich finde lediglich zwei lauwarme Flaschen Weißwein von der billigen Sorte in meiner Wohnung. Nützt alles nichts. Ich frage Ant, ob er vielleicht zufällig Ecstasy im Darm durch den Zoll geschmuggelt hat. Hat er nicht. Verdammt.
3.33 Uhr: Von dem Wein ist mir schon ganz schummrig. Ich lasse mich auf das Sofa zurückfallen, und meine Gedanken schweifen ab ... Ich stelle mir einen Ladeneingang an einem kalten, verregneten Tag in London vor, wo ich in einem dreckigen und löchrigen Schlafsack hocke, in den Händen eine Dose Bier... Hmm, das wäre vielleicht ein Ausweg.
4.10 Uhr: Liege im Bett. Finde immer noch keinen Schlaf - bin viel zu aufgewühlt. Sachte stoße ich Ant an: »Ich rufe mal Mary an.«
»Scheiße, Amy, ich war schon fast eingeschlafen... Du kannst sie um die Uhrzeit nicht anrufen.«
»Sie ruft mich doch auch ständig mitten in der Nacht an«, entgegne ich.
»Wirklich?«
»Einmal hat sie mich morgens um halb vier angerufen, um mir zu sagen, dass sie in meinem Buch ein Oxymoron auf Seite 67 entdeckt hat.«
»Ein Oxywas?«
»Keine Ahnung, aber anscheinend habe ich eins geschrieben. Ich ruf sie jetzt an.«
»Sei aber leise«, ruft er mir hinterher, als ich mich ins Wohnzimmer verziehe.
Beim dritten Klingeln geht sie dran.
»Es ist schon vier Uhr morgens durch«, murmelt sie verschlafen, »was so viel heißt, dass das nur du sein kannst, Amy, oder die Polizei, weil man deinen Leichnam gefunden hat.«
»Ich bin es selbst«, erwidere ich.
»Gott sei Dank. Wo hast du denn bloß gesteckt, Kindchen?«
»Ich war in New York.«
»Ich möchte dir für die Zukunft einen Rat geben, meine Liebe«, sagt sie in tadelndem Ton, mit einem Mal hellwach. »Ein Urlaub ist nur dann ratsam, wenn alles seinen gewohnten Gang geht, und nicht, wenn, wie es sprichwörtlich heißt, die Kacke am Dampfen ist. Also, beantworte mir folgende Frage: Warum hast du es nicht für nötig befunden, mir von einem gewissen Erpresser zu erzählen?«
Mann, ist sie etwa sauer?
»Tut mir Leid«, murmle ich, »ich bin eben... irgendwie ... durchgedreht.«
»Ach, was glaubst du denn, wofür ich da bin? Merke dir, Schätzchen: Wenn du das nächste Mal wieder durchdrehen solltest, dann halte dich bitte an mich. Ich trage Kleidergröße XXL, mich kann man nicht übersehen. Im Übrigen wirst du mit Erleichterung vernehmen, dass du vor dem Kerl jetzt deine Ruhe hast. Vorerst jedenfalls.«
»Vielen Dank, Mary... Wie hast du das gemacht?«
»Mit logischem Denkvermögen und einem klassischen listigen Trick.«
»Du hast ihm Geld gegeben?«
»Nicht direkt. Ich habe mich mit ihm getroffen und -Mensch, wo habt ihr den eigentlich aufgegabelt? Sehr ungepflegte Erscheinung. Sei‘s drum, jedenfalls habe ich schnell herausgefunden, dass er so ziemlich alles über dich weiß bis hin zu deiner Blutgruppe. Selbstverständlich war meine erste Überlegung, diesen stinkenden Schmierlappen zum Teufel zu jagen, selbst auf die Gefahr hin, dass er dich verpfeift, aber dafür hätte ich deine Zustimmung benötigt, weshalb ich ...«
»Danke, Mary, vielen Dank.«
»Lass mich bitte ausreden. Ich möchte mich nämlich wieder schlafen legen. Also bin ich auf Plan B umgestiegen. Ich habe ihm erzählt, du wärst fürs Erste an einem abgeschiedenen Ort untergetaucht, aber ich hätte eingehend mit dir gesprochen und du hättest zugestimmt, ihm ein Exklusivinterview samt Fotos zu garantieren ...«
»Mary!«
»Lass mich ausreden. Es läge dann an ihm, aus dem Material möglichst viel Profit zu schlagen. Mir war klar, dass er darauf anspringt - statt den miesen, kleinen Erpresser zu
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