Marsha Mellow
fröhlich loszuziehen. Vor allem nicht in etwas Hautengem.
Ich bin nicht so die Partymaus - damals nicht und heute nicht.
Mir liegt eben eher das Schreiben.
Schön, diese Erkenntnis kam reichlich spät. Aber besser spät als nie. Es handelt sich um ein einsames Unterfangen. Darin habe ich Erfahrung. Und man muss auch keiner Menschenseele etwas davon verraten. Mit einer Mutter wie meiner übt man sich früh in Heimlichkeiten. Meine Absicht war bestimmt nicht, mich damit in aller Öffentlichkeit an Jake zu rächen. Im Prinzip habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, es jemals zu veröffentlichen. Für mich war das reine Therapie. Ich würde eben schreiben. Bestimmt würde ein Haufen Mist zusammenkommen, aber na und? Hinterher würde es mir besser gehen. Auftrag erledigt.
»Wie hast du denn eigentlich angefangen?«, will Ant wissen.
»Ich meine, so einen Roman schüttelt man ja nicht einfach aus dem Ärmel.«
»Das war eigentlich ganz einfach«, entgegne ich verlegen.
Was es zu meiner großen Überraschung tatsächlich war. Zwar nicht gerade ein Kinderspiel, aber keineswegs so schwierig, wie ich es mir vorgestellt hatte. Damals kannte ich nur eine Sorte Bücher. Nämlich kitschige Frauenromane - »Rosa Schund mit ›Hochzeit‹ im Titel« - so beschreibt Mary dieses Genre. Aber ich habe immer noch eine Schwäche dafür. Gewöhnlich lese ich drei auf einmal. Zwar komme ich dadurch manchmal mit der Handlung durcheinander, aber das macht nichts, weil die im Prinzip immer gleich ist: Singlefrau in Großstadt sucht die große Liebe ... und findet sie auf Seite 260 (gerade noch rechtzeitig für die Hochzeitsfeier auf Seite 280).
Mit diesem Hintergrundwissen begann ich zu schreiben. Eines Abends, nachdem ich von der Arbeit nach Hause kam, klappte ich meinen Laptop auf, den mir mein Vater geschenkt hat (nachdem ich mich für eine glitzernde Karriere in den Medien entschieden hatte - vom North London Journal zum Working Girl - ha!), und fing an zu tippen.
Donna Sanderson war auf ihrem Weg zur Arbeit spät dran.
Während sie den Bahnsteig entlangrannte, im verzweifelten Bemühen, die U-Bahn zu erwischen, bevor die Türen sich schlossen, spürte sie, wie es ihr feucht am Oberschenkel herunterrann.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich selbst keine Ahnung, wohin das führen sollte (die Geschichte, nicht die Feuchtigkeit), aber ich machte dessen ungeachtet einfach weiter.
Sie schaffte es, indem sie den Arm zwischen die Tür zwängte, bis diese weit genug aufging, um in das Abteil hineinzuschlüpfen. Sie angelte sich die letzte freie Halteschlaufe in dem brechend vollen Wagen. Als die U-Bahn ratternd in den Tunnel fuhr, spürte sie, wie die Feuchtigkeit sich weiter an ihrem Schenkel herabschlängelte, bis zu ihrem Rocksaum. Sie fragte sich, ob sie sie aufhalten könnte, indem sie einfach die Beine zusammenpresste, oder ob sie ein Papiertaschentuch zu Hilfe nehmen müsste. Hatte sie überhaupt welche dabei? Sie fragte sich auch, ob die Feuchtigkeit von Greg oder von Vaughn stammte. Es war wieder einmal eine ganz heiße Nacht gewesen, und dies war der Morgen danach.
Und so ging das weiter. Hemmungsloser Sex auf dreihundertsiebenundfünfzig Seiten. Ich konnte selbst nicht fassen, was ich getan hatte - wie konnte ich nur so was zu Papier bringen? Dabei liegt es eigentlich voll im Trend, meine ich: Singlefrau in Großstadt sucht die große Liebe ... und findet sie ... mehrfach hintereinander. »Rosa Schund mit ›Ficken‹ im Titel«, würde Marys Bezeichnung dafür lauten.
Donna ist ein promiskuitiver Charakter - sozusagen ein weiblicher Indiana Jones in Sachen Sex und da ich ihr nicht im Geringsten ähnele, habe ich mir jemand anderen zum Vorbild genommen. Ant. Schließlich kenne ich ihn von klein auf, und Donna ist eine weibliche Ausgabe von Ant. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, dass ich sein Leben ausgeschlachtet habe, zumal ich ja nie an eine Veröffentlichung dachte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es niemand jemals zu lesen bekommen. Aber jetzt ist es passiert, und ich fühle mich grauenhaft.
»Ich kann es nicht fassen, dass du ein Buch über mich geschrieben hast, ohne mir was davon zu sagen«, bemerkt er.
»Es sollte ja auch niemand außer mir lesen«, gebe ich geduldig zurück.
»Wie konntest du mir das verschweigen? Ich bin dein ältester Freund. Ich habe mich dir gegenüber direkt geoutet, als ich wusste, dass ich schwul bin.«
Wie konnte ich das nur vergessen? Wir waren damals vierzehn, und er
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