Marsha Mellow
hatte gerade 3000 Meilen Flug hinter sich.«
Ich lasse den Blick durchs Zimmer schweifen. Keine Spur von ihm.
»Egal, ich muss dich unbedingt sehen«, sagt Lisa. »Wusstest du, dass die Mail in der heutigen Ausgabe von dir berichtet?«
Scheiße. Die Realität hat mich wieder eingeholt. »Was haben sie denn geschrieben?«, frage ich, obwohl ich die Antwort gar nicht hören möchte.
»Oh, das ist einfach klasse. Dein Buch ist groß und bunt auf dem Titelblatt abgebildet. Wie eine gigantische Werbeanzeige.«
Und ich hatte gehofft, die würden mich auf Seite siebzehn verbannen.
»Was steht in dem Artikel?«, frage ich verzweifelt.
»Die Überschrift lautet: VERFÜHRUNG MINDERJÄHRIGER ZUM SEX. Dann schreiben die irgendeinen Mist über diese Kids, die dein Buch als Gebrauchsanleitung benutzt haben und deswegen jetzt jede Menge Arger haben.«
Meine Knie geben nach, während ich in der Leitung das Rascheln der Zeitung vernehme.
»Das hier ist nicht schlecht«, berichtet sie weiter. »Hier steht, dass man in dem Rucksack von einem der Mädchen eine sechzig Zentimeter lange Altarkerze entdeckt hat. Benutzt Donna im Buch nicht genauso ei...«
»Ja, in Kapitel elf«, fahre ich rasch dazwischen. »Was steht da noch, um Gottes willen?«
»Auf Seite vier ist ein Diagramm.« Die Story geht über vier Seiten?
»Es vergleicht die ansteigende Verkaufszahl von deinem Buch mit der zunehmenden Zahl von minderjährigen Schwangeren. Richtig klasse.«
»Himmel, Lisa, wie kannst du so was sagen?«
»Aber ich habe doch Recht. Das ist die allerbeste Werbung für dein Buch. Außerdem, wen juckt es schon, was die doofe Mail schreibt?«
»Mum, zum Beispiel. Die Mail ist ihr heilig. Sie wird mich höchstpersönlich für sämtliche minderjährigen Mütter verantwortlich machen. Genauso gut hätte ich mich mit Spritzbesteck auf einem Spielplatz erwischen lassen können.«
»Du solltest dich mal hören. Da bekommst du massenhaft Werbung in einer überregionalen Tageszeitung, und du tust so, als würde die Welt untergehen.«
»Das tut sie verdammt noch mal auch, Lisa.«
»Du übertreibst wieder schamlos. Eigentlich rufe ich ja auch nicht wegen der Mail an. Ich muss unbedingt mit dir über Dan sprechen.«
Irgendwie hatte ich das völlig verdrängt.
»Ich dreh nämlich sonst noch durch«, redet sie weiter. »Bitte, können wir uns treffen?«
»Wo bist du gerade?«
»Im West End.«
Hätte ich mir denken können. Wenn Lisa Stress hat, muss sie shoppen gehen.
»Okay, ich schau mal, was Ant vorhat und ...«
»Wir treffen uns um zwei - im Café von DKNY.«
Es muss ganz schön schlimm stehen. Bei einer mittleren Krise reizt Lisa ihre Kreditkarten immer bei French Connection oder bei Morgan aus. Ist es schlimmer, lautet das Ziel Bond Street.
Als ich auflege, fällt mein Blick auf einen Zettel auf dem Esstisch.
Hi Marsha (echt geil, der Name!!)
Hoffe, du hattest eine anständige Portion Schlaf Hab das Buch durch. Echt unglaublich, obwohl du mir ruhig größere Titten hättest verpassen können. Lisa hat Recht. Das beste Buch seit dem Fänger (das eigentlich gar nicht so toll ist, wenn du mich fragst). Egal, ich gehe jetzt ein paar alte Kumpels besuchen - gibt bestimmt einiges zu erzählen. Bin gegen sechs wieder hier. Lust auf Abendessen?
Ant
P.S. Gegen zehn hat eine Frau angerufen. Wollte ihren Namen nicht herausrücken. Ich soll dir von ihr ausrichten, dass sie mit dir über die »aktuelle Chose« sprechen möchte. Ich vermute, das war deine Agentin. Sag ihr, sie kann sich die Heimlichtuerei in Zukunft sparen. Darin ist sie nämlich eine Niete.
Ich überlege kurz, ob ich Mary zurückrufen soll. Aber die kann warten. Ich gehe in mein Schlafzimmer und ziehe mich an.
Eine Dreiviertelstunde später sitze ich im Bus. Dabei hat es mich Überwindung gekostet, die vermeintliche Schutzzone meiner Wohnung zu verlassen, aber Lisa hatte ziemlich verzweifelt geklungen. In diesem Zustand und mit einer Kreditkarte bewaffnet, ist Lisa nämlich zu allen möglichen Dummheiten fähig. Beispielsweise dass sie einen Pullover in zwei unterschiedlichen Größen und fünf unterschiedlichen Farben kauft, weil sie sich nicht entscheiden kann und ihr niemand zur Seite steht. Eine Anstandsdame ist für sie jetzt das Beste.
Als ich auf dem Weg zur Bushaltestelle am Zeitungskiosk vorbeikam, habe ich tunlichst weggeschaut. Ich wollte jeglichen Blick auf die Mail vermeiden. Aber im Moment ist das unmöglich. Eine Frau schräg vor mir liest sie gerade. Ich
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