Marsha Mellow
ich kann die nächsten paar Tage nicht kommen.«
»Da bist du nicht die Einzige. Seit dem Besäufnis gestern Abend kriege ich eine Krankmeldung nach der anderen.«
Mist. Das war auch meine Ausrede.
»Mich hat‘s richtig erwischt, Deedee. Ich glaube, es sind ... die Windpocken.«
(Das ist mir auf die Schnelle als Erstes eingefallen. Eigentlich als Zweites - das Erste war Lepra, aber das wäre vielleicht etwas übertrieben gewesen.)
»Oh Gott, iiih! «, kreischte Deedee sofort los. »Halt dich bloß von mir fern.«
Genau das wollte ich hören.
»Kurier dich erst einmal richtig aus«, sagte sie weiter in freundlichem Ton, der bei ihr nie echt klingt. »Lewis und ich werden hier schon irgendwie die Stellung halten.«
Bei der Erwähnung seines Namens beendete ich abrupt das Gespräch.
Als Nächstes musste ich Ant informieren, dass ich ihn besuchen möchte. Aber hatte er nicht gesagt, ich könnte jederzeit vorbeischauen? Jederzeit . Während ich seine Nummer wählte, überlegte ich, dass es in New York jetzt drei Uhr morgens sein musste. Prompt ging der Anrufbeantworter dran, und ich vernahm zum ersten Mal die Stimme von Alex. Die waren bestimmt noch im Club. Ich hinterließ keine Nachricht. Wozu auch? Und was hätte ich auch sagen sollen? Besser, überlegte ich, ich stand einfach spontan vor seiner Tür.
Am Flughafen kam ich erneut ins Grübeln. Was tat ich da eigentlich? Weglaufen war sicher keine Lösung. Ich müsste ohnehin irgendwann wieder zurückkommen. Und außerdem, sobald Colin Mount auffiel, dass sein Goldesel sich aus dem Staub gemacht hatte, würde er mich dann nicht einfach an die Presse verkaufen? In diesem Moment fiel mein Blick auf einen Stapel Daily Mails vor einem Geschäft. »PARTNER DER PERVERSION«, verkündete die fette Schlagzeile. Darunter waren zwei Fotos. Das eine zeigte Jacobson - wohl ein älteres, denn es zeigte noch eine schwarze Haarpracht. Das andere war Mary. Ich ersparte mir die Mühe, den Bericht zu lesen, zumal der Inhalt im Grunde klar war, wenn man die Fahndungsfotos meiner beiden Komplizen auf der Titelseite sah.
Sollte man mich jetzt outen und mit Schimpf und Schande überziehen, dachte ich, dann ist es mir sogar lieber, wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt auf einem anderen Kontinent befinde. Abstand gewinnen war die beste Idee seit langem.
Nach meiner ersten Fahrt in einem Yellow Cab stehe ich auf der Straße, die zwischen dem Broadway und der Bowery verläuft. Anscheinend befinde ich mich hier in der Lower East Side, obwohl es auch die Upper Northwest sein könnte bei meinem Sinn für Himmelsrichtungen. Es ist Mittagszeit, und ich stehe vor Ants Wohnblock. Mit Sicherheit liegen Ant und Alex noch im Bett. Ich gehe einen Schritt zurück und sehe an dem vierstöckigen Backsteingebäude hoch. Genau wie Ant es beschrieben hat: »Es sieht ein bisschen wie eine heruntergekommene ehemalige Schuhfabrik aus, was es früher auch war. Das Einzige, woran man merkt, dass hier inzwischen schicke Apartments für Menschen mit haufenweise Kohle entstanden sind, ist das schusssichere Glas in der Haustür - um die Junkies draußen zu halten.« Ich betrachte die schwere Metalltür und entdecke sechs Einschusslöcher nebeneinander, allesamt so groß wie ein Ten-Pence-Stück. Dabei fällt mir ein, dass Ant erwähnt hat, irgendwann habe einmal der Bekannte eines Mieters den Eingang mit einer Uzi verschönert, weil man sich über das Fernsehprogramm nicht einigen konnte.
Scheiße, ich bin in New York. Die Stadt der Uzis, der Busta Rhymes und des »Have a nice day, muthafucka«.
In mir kriecht Panik hoch. Ich muss schnellstens von der Straße runter, bevor ich mich in der Statistik der zigtausend Todesopfer wiederfinde, die hier täglich aus vorbeifahrenden Wagen erschossen werden (was die Wahrheit sein muss, denn ich habe das in der Mail gelesen). Rasch überfliege ich die Namen auf den Klingelschildern, bis ich »A. RITTER & A. HUBBARD« entdecke. Mein Finger auf dem Klingelknopf verharrt mitten in der Bewegung. Was, wenn da oben gerade eine Orgie stattfindet? Das ist doch schließlich ein alltäglicher Zeitvertreib von Schwulen (Quelle: ebenfalls die Mail), oder?
Was tun?
Ich stecke in der Zwickmühle.
Entweder ich wähle den sicheren Tod durch eine Schießerei während eines Bandenkriegs draußen auf der Straße oder aber die sichere Blamage, der einzige Gast mit Brüsten auf einer Party mit dem Motto »Bring eine Tube Gleitcreme mit« zu sein.
Was tun, was nur? ...
In diesem Moment
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