Marsha Mellow
ist. Wahrscheinlich ist Alex wach geworden. Mir wird etwas mulmig zumute, aber das ist nichts, verglichen mit Ants Reaktion. Er steht mit einem Mal völlig neben sich, als wäre ihm zwischenzeitlich entfallen, dass er mit jemandem zusammenwohnt.
»Du kommst bestimmt um vor Hunger«, meint er plötzlich.
»Eigentlich nicht. Ich hab zwar im Flieger nichts gegessen, aber ...«
»Lass uns essen gehen. Gleich gegenüber ist ein Diner. Geh doch schon mal vor und bestell dir was. Ich zieh mich bloß kurz an und stoße in spätestens zehn Minuten zu dir.«
»Es ist okay. Ich kann warten. So hungrig bin ich nun auch wied...«
Aber Ant hat mich bereits vom Hocker geschubst und befördert mich energisch in Richtung Tür. Was läuft da eigentlich? Warum will er mich auf einmal unbedingt loswerden? Will er etwa vermeiden, dass ich Alex kennen lerne? Mein Gott, Alex ist bestimmt einer von der üblen Sorte. Mit einem Maschinengewehr. Tja, so ist nun einmal Amerika.
Wir stehen vor der Tür. Ant will sie gerade öffnen, als sich erneut etwas rührt. Ich drehe mich um und werfe einen Blick quer durch den Raum, wo Alex gerade hinter der Trennwand hervorkommt. Ich drehe den Kopf wieder zu Ant, der offenbar zur Salzsäule erstarrt ist. Ein irres Grinsen liegt auf seinem Gesicht. Alex, im Partnerlook mit Ant, tapst auf uns zu. Obwohl das aus dieser Entfernung nur schwer zu sagen ist, kommt er mir dennoch ziemlich klein vor. Er hat kurze zerzauste Haare und ein jungenhaftes Gesicht - beinahe elfenhaft...
Oje. Mir schwant langsam, warum Ant Panik hat. Vielleicht ist das ja gar nicht Alex. Am besten, ich frag kurz - bevor ich wieder ins Fettnäpfchen trete.
»Ist das Alex?«, flüstere ich.
»Nein ... der besucht zurzeit seine Familie in Buffalo«, flüstert Ant zurück. »Das ist Frankie.«
»Ant!«, fauche ich ihn an. »Ich dachte, du hättest die Sache geklärt.«
»Hab ich auch«, entgegnet er deprimiert.
Er kommt offenbar zu dem Schluss, dass es jetzt sowieso zu spät ist, mich noch heimlich aus der Wohnung zu schmuggeln, sodass wir wieder zu der Sitzinsel zurückgehen. Frankie reibt sich den Schlaf aus den Augen und sieht uns misstrauisch an, als er zu uns stößt. Wirklich, er ist richtig knabenhaft - nicht so ein durchtrainierter, anabolikasüchtiger Bodybuilder, auf die Ant normalerweise abfährt.
»Morgen. Gibt‘s noch Kaffee?«, fragt er.
Moment mal. Fuck. Habe ich eben »er« gesagt?
Bei Frankie handelt es sich nämlich eindeutig um eine »Sie«.
»Und, wie war‘s?«, frage ich.
»Du meinst, Sex mit einer Muschi?«, entgegnet Ant. »Es ist nicht so toll, wie die Kerle immer behaupten. Ich fand es etwas ... anstrengend. Ich hatte ständig das Bedürfnis, sie auf den Bauch zu drehen und ihn ihr in den ...«
»Ant! Bit-te!«
»Egal, was sagst du denn dazu? Hat das was Ernsthaftes zu bedeuten?«
»Himmel, was ich dazu sage, Ant? Ich sage, dass ich immer noch unter Schock stehe.«
Nachdem sich Frankie als äußerst redselig entpuppt hatte, sich nebenbei anzog, Kaffee trank, telefonierte und sich schminkte, verschwand sie zur Arbeit und ließ Ant in Erklärungszwang und mich völlig verdattert und verwirrt zurück.
Jetzt ahne ich, was er durchgemacht hat, nachdem er erfuhr, dass ich Marsha Mellow bin. Und - obwohl es mich Überwindung kostet, es zuzugeben, da ich mir nicht sicher bin, ob mich mein Gefühl trügt - ich fühle mich hintergangen. Ich komme mir vor wie eine dieser bedauernswerten Frauen, die sich an eine dieser Ratgebertanten in Zeitschriften wenden, weil sie ihren Ehemann zusammen mit einem Kumpel aus seiner Dart-Mannschaft in flagranti im Bett erwischt haben - bloß dass ich nicht mit Ant verheiratet bin und Frankie nicht so aussieht, als würde sie Dart spielen.
»Warum?«, frage ich ihn.
»Ich versteh mich ja selbst nicht mehr. Ich bin einfach von Anfang an auf sie abgefahren und ...«
»Das hast du mir bereits in London erzählt. Du hast mir auch erzählt, sie sei über einsachtzig und trage ein Ziegenbärtchen ... Stehst du auf sie, weil sie so knabenhaft ist? ... Ist es das?«
Schweigen.
»Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?«
»Das musst du gerade sagen, Marsha ... Ich konnte nicht.«
»Ich bin deine beste Freundin. Früher hast du mir auch alles erzählt. Oder etwa nicht?«
»Ja, schon, aber ich kann mir ja selbst nicht erklären, was mit mir los ist. Wie hätte ich es dann dir erklären sollen?«
»Indem du einfach mit mir darüber gesprochen hättest. Vielleicht wäre
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