Marshall McLuhan
ihren Höhepunkt in den Vierzigern und Fünfzigern hatte. 7 Für die Vertre terdes New Criticism zählten allein die Worte auf dem Papier. Kenntnisse über den Autor, sein oder ihr Leben, den Kontext – alle anderen Faktoren – waren irrelevant. Der New Criticism konzentrierte sich darauf zu verstehen, wie die Literatur ihre Wirkung auf den Leser entfaltete.
Marshall kam zu der Überzeugung, dass zum Beispiel der Inhalt eines Gedichts sich daraus ergab, wie die Wörter in einem formalen Kontext zusammenwirkten, und nicht aus der Absicht des Autors. Es war F. R. Leavis, 8 der, ungewöhnlich für die Zeit, Marshall dazu ermutigte, die wirkliche Welt durch dieselbe Brille zu betrachten wie die literarische. Jahrzehnte später brachte dieser Ratschlag erstaunliche Ergebnisse hervor. Auf kurze Sicht rettete der Kontakt mit dem New Criticism Marshallaus dem veralteten Einheitsbrei einer von der Wirtschaftskrise geprägten Ausbildung in Manitoba und brachte ihn dazu, Autoren zu lesen, auf die er sonst nie gekommen wäre, zum Beispiel Joyce, Eliot und Yeats.
Der New Criticism bestärkte Marshall in seiner sowieso schon vorhandenen Offenheit für neue Ideen. Durch ihn konnte er ein Gedicht wie einen Gegenstand in einem Glaskasten betrachten. Und als jemand, der wie ein Besessener unbekannte Wörter in sich aufnahm, spornte der New Criticism Marshall dazu an, sich weiter mit den körperlichen Empfindungen des Lesens zu beschäftigen – dem Gefühl im Hals, auf der Zunge, in den Lippen –, um am Ende stundenlang mit einem einzigen Wort, seinem Reichtum und seiner Nuancierung zu spielen. Marshall sagte einmal, ein einziges Wort in der englischen Sprache sei komplexer als das US-amerikanische Raumfahrtprogramm. Das ist sicher übertrieben, verfehlte aber nicht seine Wirkung (immerhin reden wir hier ein halbes Jahrhundert später darüber). Solche Übertreibungen brachten ihm jedes Mal Publicity ein, etwas, das er sein Leben lang genoss, auf eine liebenswerte, unzynische und unschuldige Art. (
Guck mal, Mama!
)
Eine besondere Fußnote aus dieser Phase in Cambridge ist der Einfluss Alfred North Whiteheads, der damals in Harvard war, ein Denker, dessen Wirken seinen Höhepunkt in den Fünfzigern und Sechzigern hatte. Marshall notierte Whiteheads Aphorismen mit Bleistift überall auf seinen Papieren, und wenn man ein paar von ihnen liest, bekommt man einen Vorgeschmack darauf, was Marshall in den folgenden Jahren erwartete:
Eine dumme Frage ist das erste Anzeichen für eine vollkommen neue Entwicklung.
Alfred North Whitehead
Wesentlicher Fortschritt hat mit der Neuinterpretation grundlegender Ideen zu tun.
Alfred North Whitehead
Die Zivilisation entwickelt sich weiter, je mehr wichtige Tätigkeiten wir ausüben können, ohne darüber nachzudenken.
Alfred North Whitehead
Der kanadische Gelehrte
1934 war Marshalls Gehirn so weit verknüpft, und er selbst sehr viel geselliger als in seiner Jugend. Er war ein fantastischer Redner, und seine Fähigkeit, Unmengen von Gedichten und Prosatexten vorzutragen, nahm seinen Kritikern jeden Wind aus den Segeln.
Regelmäßige Mahlzeiten und eine gemütliche altmodische Unterkunft stillten seine Grundbedürfnisse. Er war Mitglied der Rudermannschaft, hatte keine Freundin und sah sich gern Detektivfilme im örtlichen Kino an. Er schrieb fast jeden Tag nach Hause. Er war ein ernsthafter Mensch und von Tag zu Tag hungriger nach Religion – Elsie hatte in ihrem Sohn immer eine »Sehnsucht nach Religion« bemerkt, wie sie es nannte, und dieses Bedürfnis erreichte jetzt einen Wendepunkt. Insbesondere waren es Marshalls Begeisterung für G. K. Chesterton und seine aufkeimenden Beziehungen zu katholischen Freunden, die es ihm ermöglichten, seine protestantische Erziehung in der Prärie hinter sich zu lassen. Protestantisch ausgerichtete Religionen bedeuteten für ihn einfache Unterkünfte, Reklameschilder, für dreißig Cents die Stunde Pestizide in Straßengräben sprühen – und darüber hinaus das Fehlen so gut wie jeglicher Form von Hochkultur. Der Katholizismus bedeutete Rom! Geschichte! Kunst! Schönheit! Rituale! Aber vor allem bot er einen Ort für Marshalls kaum zu bändigendes Verlangen nach einemStandpunkt, der die Belastung und die Zerrissenheit, die er in der Welt sah, erklären, oder sie vielleicht sogar davon befreien konnte.
Wenn der Weg sich gabelt
Je nach Glaubensrichtung gibt es diverse Möglichkeiten, was nach dem Tod passiert. Vielleicht gar nichts. Vielleicht
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