Soldaten vergewaltigen oder gleich umbringen zu lassen. Für die anderen Soldaten war es ein großer Lacher, wenn das Mädchen den Tod wählte, weil das für den Rekruten extrem demütigend war. Er wurde also veräppelt und gehänselt, selbst wenn er alles gab, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, indem er sie auf undenkbar bestialische Weise tötete.
»Mein Gott«, stieß Kat entsetzt hervor. »Das ist ja ekelerregend.«
Die Camps trugen absolut unschuldig klingende, nicht selten weibliche Namen wie Café Sonja oder Birds’ Nest.
Die Namen waren Anlass genug, einen neuen, detaillierteren Suchlauf zu starten. Doch worauf sie dabei stießen, war noch weit erschreckender. Allein in den ersten drei Jahren des Balkankrieges, als man derlei Dinge noch zählte, wurden schätzungsweise zwanzigtausend Frauen vergewaltigt, viele von ihnen in eigens zu diesem Zweck eingerichteten Lagern. Jede Seite bezichtigte die jeweils andere, als Erstes diese Kriegstaktik zum Einsatz gebracht zu haben.
Eine Stunde oder länger herrschte Schweigen, während die beiden Frauen die offiziellen Berichte durchlasen. Bereits im Jahr 1994 hatten die Vereinten Nationen Zehntausende Vergewaltigungsvorwürfe untersucht, darunter den folgenden Fall.
Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe wurden Berichten zufolge von allen beteiligten Kriegsparteien begangen. Einige der angezeigten Fälle sind eindeutig auf das Verhalten Einzelner oder kleinerer Gruppen zurückzuführen, ohne dass es Beweise für eine Befehlsrichtung oder eine umfassende Taktik gäbe. Aber aufgrund der Häufigkeit der Vorfälle wies alles darauf hin, dass systematische Vergewaltigungen und sexuelle Gewalttaten tatsächlich als Taktik zum Einsatz kamen …
Dennoch schien man zu jener Zeit nicht viel dagegen unternommen zu haben. Im Gegenteil, als das Land immer tiefer in den Strudel der Gewalt geriet und UN -Beobachter zu ihrer eigenen Sicherheit abgezogen wurden, vergaß man dieses Problem allem Anschein nach im allgemeinen Chaos.
Kat spürte, wie ihre Wangen vor Zorn glühten. All dies hatte sich gerade mal dreihundert Kilometer von hier entfernt abgespielt, auf der anderen Seite der Adria. Und dennoch hatte man sich in Europa so sehr daran gewöhnt, den Ostblock als separate Einheit zu betrachten, dass die Leute selbst heute nicht über die Ereignisse dort redeten. Unfähig, noch länger still zu sitzen, sprang sie auf und marschierte zu dem großen Fenster, um Luft zu schnappen, als Daniele auf einmal ein leises »Aha« verlauten ließ.
Sie drehte sich um. Er deutete auf den Bildschirm.
»Hier haben wir die Person, mit der Barbara Holton über Carnivia in Kontakt stand.«
Sie scharten sich um den Computer.
[email protected].
» ICTY , das ist doch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien«, sagte Kat. »Mit Sitz in Den Haag. Auf Barbara Holtons Website ist irgendwo erwähnt, dass sie früher mal für die gearbeitet hat.«
Holly war bereits dabei, die Mail-Adresse in die Suchmaschine einzugeben. »Hinter R. Carlito steckt wohl Roberta Carlito«, informierte sie die anderen. »Ihr offizieller Titel lautet Rechtsberaterin. Sie ist direkt der Oberstaatsanwaltschaft unterstellt. Ich würde aber sagen, dass sie inoffiziell als eine Art gerichtliche Ermittlerin fungiert.«
»Vielleicht hat Barbara Holton ihr ja Beweismaterial für den Prozess gegen Dragan Korovik zugespielt.«
»Was aber hatte das mit Findlater zu tun?«
»Barbara Holton war der Meinung, die Amerikaner hätten sich in den Konflikt eingemischt«, berichtete Holly. »Operation William Baker bestätigt dies. Möglicherweise hatte Findlater den Auftrag, dafür zu sorgen, dass diese Beweise nie nach Den Haag gelangten.«
»Er sollte also die Spuren verwischen«, murmelte Daniele hinter seinem Computer.
»Das würde erklären, weshalb Findlater hinter Barbara Holton und Jelena Babi ć her war«, fuhr Holly fort. »Es erklärt allerdings nicht, aus welchem Grund sie allesamt auf der Suche nach Findlaters Tochter waren.«
Beiden Frauen kam der Gedanke im selben Moment. Sie blickten sich an, als hätten sie mit einem Mal verstanden.
»Barbara Holton war nicht einfach nur auf der Suche nach Melina Kova č evi ć «, sagte Kat ganz langsam. »Sie hatte es auf Beweise für ein Kriegsverbrechen abgesehen.«
»Und genau darum geht es hier, Melina ist ein solcher Beweis«, bestätigte Holly ihre Theorie.
»Ich verstehe das nicht«, wandte Daniele ein. »Inwiefern?«
»Diese