Marter: Thriller (German Edition)
Haarsträhne, die Kat im Hotelzimmer der beiden Frauen gefunden hat – wenn sie von Soraya Kova č evi ć stammte, dann würde man die DNA darin mit der DNA von Findlater und von Melina abgleichen können. Das würde wiederum beweisen, dass sie die biologischen Eltern von Melina sind.«
»Piola war die ganze Zeit der Ansicht, diese hollywoodreife Geschichte, von wegen, er wolle seine Tochter finden, damit er ihr eine Collegeausbildung ermöglichen kann, sei völliger Blödsinn«, rief Kat. »Holly hat recht – Findlater hat Barbara und Jelena nicht dazu benutzt, um Melina ausfindig zu machen. Er wollte sie nur aufspüren, ehe sie das taten.«
»Aber weshalb?«, fragte Daniele.
»Um sie umzubringen. Die Beweise zu vernichten. Darum geht es hier. Melina selbst ist der unwiderlegbare Beweis. Ihre DNA ist der lebendige Beweis für ein Kriegsverbrechen.«
Wie sie es auch drehten und wendeten, sie kamen immer wieder auf dieselbe Hypothese zurück.
Findlater hatte behauptet, Melinas Mutter angetroffen zu haben, wie sie in einem Keller kauerte. Er war damals angeblich als Vertreter der UN -Friedenstruppen unterwegs, und sie verliebten sich. »Wenn die Wahrheit allerdings ein wenig anders aussieht«, spekulierte Kat. »Wenn er, sagen wir mal, als MCI -Angestellter in Kroatien war, einer von denen, die mit allen Mitteln den Konflikt anheizen sollten, unter anderem auch, indem sie sexuelle Gewalt gegen Frauen ausübten …«
»Libidinal Frenzy, der Libidorausch«, sagte Holly. »Vergewaltigung als Kriegswaffe. Einer von Paul Dohertys Wegbereitern zum Völkermord.«
»… dann könnte er sich ja auch selbst der Vergewaltigung schuldig gemacht haben, an Soraya. Und Melina war das Resultat.«
»Wir müssen mit dieser Roberta Carlito Kontakt aufnehmen.« Holly sah zu Daniele. »Können wir ihr eine E-Mail schicken? Ist das sicher?«
»Absolut nicht. Aber wir müssen ihr auch gar keine Mail schreiben. Kontaktieren wir sie doch auf demselben Weg wie Barbara, über Carnivia.«
Sie loggten sich auf Carnivia ein, schickten eine verschlüsselte Botschaft an Roberta Carlito und warteten ab, was geschehen würde. Binnen einer halben Stunde erhielten sie eine Nachricht, in der sie aufgefordert wurden, sie auf dem Markusplatz zu treffen.
Für Holly war es das erste Mal, dass sie eine Identität auf Carnivia annahm. Sie schlenderte an der Seite von Kats und Danieles Avataren über einen wunderschönen Fußweg am Kanal entlang, der gegenwärtig erfreulich leer war. Keine Touristen oder Vaporetti mit ihren stinkenden Dieselmotoren.
»Das ist so wunderschön«, stieß sie immer wieder überrascht hervor.
»Schön, aber auch ganz schön heruntergekommen«, entgegnete Kat knapp. »Genau wie in der wirklichen Welt.«
Daniele zuckte mit den Schultern. »Ist halt eine Stadt. Leute wohnen hier. Einige sind gut, andere schlecht. Die meisten sind eine Mischung aus beidem.«
Sie erreichten den Markusplatz und trafen eine Frau mit Dominomaske an, die vor dem Dogenpalast wartete. Daniele spielte den Verschlüsselungscode von Barbaras Computer ein, und Kat schrieb:
Guten Tag, Miss Carlito. Wir sind Freunde von Barbara Holton. Ich nehme an, Sie haben sie bereits vermisst?«
Geht es ihr gut?
Leider nein. Sie wurde ermordet.
Es folgte längeres Schweigen. Dann:
Ich hatte schon befürchtet, dass etwas Ähnliches geschehen sein könnte.
Sie spazierten am Riva degli Schiavoni entlang, während Roberta Carlito ihnen erzählte, wie sie Barbara Holton das erste Mal begegnet war.
Barbara gehörte zu einem Dutzend unbezahlter Freiwilliger, die Beweise für Verbrechen sammelten, welche im Zuge des Krieges im ehemaligen Jugoslawien begangen wurden. Insbesondere ging es um Verbrechen gegen Frauen. Schriftliche Erklärungen von Opfern, Zeugenaussagen, die zeitliche Abfolge der Ereignisse – ohne eigenen exekutiven Geschäftsbereich hat das ICTY nicht die Mittel, um all diese Dinge zu sammeln. Und die örtlichen Polizeibehörden sind nicht selten an den ursprünglichen Verbrechen beteiligt gewesen, daher sind sie auch nicht willens, uns zu unterstützen. Wir sind also auf ein Netzwerk aus ehrenamtlichen Juristen und Aktivisten angewiesen.
Jelena Babi ć war eine solche Aktivistin, nehme ich an.
Nein. Jelena diente als Zeugin – eine der Ersten, die Barbara ausfindig machen konnte. Sie freundeten sich allerdings an, woraufhin Jelena ihre Kontakte nutzte, um Barbara mit weiteren Opfern bekannt zu machen.
Welchen Taten sind diese Leute genau zum
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