Marter: Thriller (German Edition)
keinen Schaden nimmt.«
Der Mann im dunklen Anzug nickte. »Noch ein Grund mehr, es wie einen Unfall aussehen zu lassen. Crixus wird es schon verkraften.«
54
Am folgenden Tag brachen sie noch vor Sonnenaufgang auf und fuhren in Hollys winzigem Wagen von Venedig aus in nordöstliche Richtung. Die Berge lagen vor ihnen, das Meer zu ihrer Rechten. In Palmanova, an der nördlichsten Spitze der Adria, zog sich die Straße zunächst nach Osten, dann wieder südlich und folgte an der Laguna di Marano einer lang gestreckten Kurve. Nur wenige Touristen verirrten sich in diese gespenstisch leere Moorlandschaft, und bei Tagesanbruch war die Gegend so gut wie ausgestorben. Die Straßen allerdings waren voll von lauten Lastwagen mit slawischen Namenszügen an der Seite.
Noch in Venedig war das Innere von Hollys Wagen militärisch sauber gewesen. Doch schon bald war der Boden übersät mit Kats Schokoladenverpackungen und leeren Getränkedosen. Ihr entging nicht, dass Holly einen flüchtigen Blick darauf warf und zusammenzuckte, doch da sie die Hände am Lenkrad hatte, konnte sie nicht viel dagegen unternehmen.
Gleich hinter Triest fuhren sie in das winzige Slowenien. Obwohl es zum ehemaligen Jugoslawien gehört hatte, war das Land bereits seit 2004 Mitglied der EU , daher bemerkte man kaum, dass man nicht mehr in Italien war. Eine halbe Stunde später allerdings überquerten sie die Grenze nach Kroatien, und von da ab kam es ihnen vor, als befänden sie sich nicht nur in einem anderen Land, sondern auch in einem anderen Jahrhundert. Auf den Feldern peitschten Bauern mit gegerbten Gesichtern auf die Flanken von Ochsen ein, die vor Pflüge gespannt waren. Die Frauen trugen Kopftücher und Wämser aus irgendeinem dicken, nicht näher zu identifizierenden Material. Dennoch waren an einigen von den Häusern Satellitenschüsseln angebracht, und gelegentlich sahen sie einen BMW oder ähnliche Luxusfahrzeuge.
Beide hatten das Gefühl, durch ein Land zu fahren, das noch im Entstehen begriffen war – ein Land, das sich laufend veränderte und noch nicht fertig war.
»Ich glaube, wir haben da einen Begleiter. Eine dunkelblaue Audi-Limousine. Italienisches Kennzeichen.«
Kat warf einen Blick in den Rückspiegel. »Sollen wir versuchen, ihn abzuhängen?«
»Aber klar doch.«
»Könnte schwierig werden, die haben das schnellere Auto.«
»Tja«, sagte Holly, »bei Autoverfolgungsjagden geht man doch immer davon aus, dass der andere das schnellere Fahrzeug hat.«
»Und das soll heißen?«
»Dass man nicht versuchen sollte, ihnen davonzufahren.« Noch während sie dies sagte, fädelte sie sich in den Verkehr ein, der von der Schnellstraße herunterführte. Der andere Wagen tat es ihnen gleich, blieb aber weiterhin auf Abstand. »Was wir jetzt brauchen, ist eine schöne Strecke durch irgendwelche Vororte. Wie die vor uns zum Beispiel.« Ohne den Blinker zu setzen, bog sie völlig ohne Vorwarnung nach rechts ab. Danach beschleunigte sie, ehe sie wieder langsamer wurde, als das andere Fahrzeug auftauchte. Mittlerweile hatte sie einen Vorsprung von etwa hundert Metern.
Die Straße endete an einer Kreuzung. Die Ampel stand auf Rot. Ohne anzuhalten oder zu blinken, überfuhr Holly die Ampel und fädelte sich nach rechts in den Verkehr ein. Es folgte wildes Gehupe, woraufhin sie entschuldigend die Hand hob. »Tut mir leid.« Nach etwa fünfzig Metern bog sie links ab.
»Ich kann sie nicht mehr sehen«, sagte Kat, die einen Blick nach hinten warf.
»Trotzdem …« Wieder bog Holly ein paarmal ohne Blinkzeichen ab, dieses Mal ging es erneut nach links.
»Langsam verstehe ich«, stieß Kat voller Bewunderung hervor. »Du zählst mit, wie oft du nach links abgebogen bist, sodass du am Ende wieder in dieselbe Richtung fährst wie zu Beginn. Und dann tust du das Gleiche mit den Abbiegungen nach rechts.«
»Ganz genau. Es ist fast so, wie wenn man jemanden mit verbundenen Augen im Kreis herumdreht, nur im Auto. Die meisten Leute kommen einfach nicht auf die Idee mitzuzählen. Sobald sie dann mehr als ein Mal raten müssen, in welche Richtung wir gefahren sind, verringern sich die Chancen massiv, dass sie richtigliegen.«
Noch einmal bog sie rechts ab. »Jetzt fahren wir wieder aus der Stadt raus, auf einer Straße, die in etwa parallel zu der verläuft, auf der wir reingekommen sind. Können wir nur hoffen, dass sie immer noch ihre Zeit verplempern und dahinten nach uns suchen.«
»Sehr schlau. Aber ich hätte da eine Frage.«
»Die da
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