Marter: Thriller (German Edition)
Beste für sie gewesen, wenn man sie im Unklaren über ihre Herkunft gelassen hätte. Leider aber haben wir nicht die Befugnis, derartige Treffen zu verhindern. Und ihre Mutter war der Ansicht, sie verdiente es, die wahre Geschichte zu erfahren.« Dann tippte sie auf das Foto von Jelena. »Ich glaube, es war Jelena Babi ć , die ihr das eingeredet hat.«
»Sie kannten Jelena ebenfalls?«, erkundigte Kat sich erstaunt.
»Ja, sie leistete gemeinnützige Arbeit mit den Kindern hier. Sie war ein guter Mensch, aber ihr Urteilsvermögen ließ manchmal zu wünschen übrig. Wir mussten sie bitten, zu gehen, nachdem …« Abrupt unterbrach sie sich.
»Nachdem Sie herausfanden, dass sie sich für eine Priesterin hielt«, ergänzte Kat den Satz ganz ruhig.
Die Mutter Oberin seufzte. »Sie müssen verstehen. Ich selbst wurde von Gott erwählt – ich weiß genau, wie übermächtig das Gefühl einer Berufung sein kann. Doch Jelena wollte noch mehr. Sie war überzeugt, dass ihre Ordination, wie sie das gern zu nennen pflegte, Gültigkeit hatte, obwohl Seine Heiligkeit doch ausdrücklich verfügt hat, dass dies nicht möglich ist. Ich habe ihr gesagt, dass nichts Gutes dabei herauskommt, wenn sie es publik macht. Ich glaube allerdings, dass sie wegen dem, was ihr und Melinas Mutter während des Krieges zugestoßen war, das Gefühl hatte, eine Ausnahme zu sein. Sie war der Ansicht, die Leute würden es verstehen, sobald sie davon erfuhren. Deshalb kam sie zu der Überzeugung, Soraya müsse ihrer Tochter erzählen, wie sie auf die Welt kam.«
»Als Resultat einer Vergewaltigung.«
Die Mutter Oberin warf ihnen einen scharfen Blick zu und faltete die Hände im Schoß. »Wir hatten viele Kinder hier, alle im gleichen Alter wie Melina und alle mit ähnlich schwierigem Hintergrund. Wir hielten es für das Beste, nicht ins Detail zu gehen, unter welchen Umständen sie auf die Welt gekommen waren. Wie hätten wir das auch tun sollen? In welchem Alter ist man denn fähig, mit so etwas umzugehen? Wie hätten wir überhaupt wissen sollen, wer von ihnen tatsächlich aus diesen schrecklichen Verbrechen hervorgegangen ist und wer nicht? Da schien es uns fairer, uns nicht näher mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Doch als Melina davon erfuhr, erzählte sie es natürlich auch den anderen … Einige von ihnen reagierten wütend, andere wollten nicht darüber reden. In dieser Zeit teilten die Bewohner hier sich in zwei Lager.«
»Und Sie lösten das Problem, indem Sie sie rauswarfen.«
Die grauen Augen der Mutter Oberin funkelten stählern. »Wie ich schon sagte, es war ihr eigenes Verhalten, das uns zwang, diesen Schritt zu tun. Sie wurde wiederholt ermahnt.«
»Wussten Sie, dass sie eine Prostituierte wurde?«
Die Mutter Oberin sog scharf die Luft ein. »Das wusste ich nicht, nein. Wie schrecklich. Ich werde für sie beten.«
»Wir gehen davon aus, dass man sie dazu gezwungen hat, gegen ihren Willen. Sicherlich stecken Menschenhändler dahinter. Möglicherweise wusste sie nicht, an wen sie sich sonst wenden sollte, nachdem sie von hier fortmusste.«
»Wir hatten keine Wahl«, wiederholte die Mutter Oberin entschlossen.
»Was wissen Sie über die Geschehnisse in den Vergewaltigungslagern?«, erkundigte Kat sich neugierig. »Was genau haben Soraya und Jelena Melina erzählt?«
Die Mutter Oberin schüttelte den Kopf. »Darüber sollten Sie wohl besser mit Soraya sprechen und nicht mit mir.«
»Lebt sie denn noch in der Gegend?«
»Ja. Etwa fünfundzwanzig Kilometer von hier, in einem Dorf namens Krisk. Eines aber sollten Sie wissen. Suchen Sie nicht nach Soraya Kova č evi ć . Es handelt sich hierbei um einen kroatischen Namen, den wir Melina gegeben haben, damit sie akzeptiert wird. Fragen Sie nach Soraya Imamovi ć . Sie ist Bosnierin.«
Als sie ins Auto stiegen, tauchte auch der Audi wieder auf.
»Wir müssen sie abschütteln«, bemerkte Holly. »Es könnte sonst gefährlich werden für Soraya, wenn wir sie zu ihr führen.«
»Verstanden.«
Sie fuhren los und verfolgten eine Route mit einigen Umwegen.
»Ist schon verrückt, oder?«, sagte Kat. »Der Name Kova č evi ć ist akzeptabel, aber mit dem Namen Imamovi ć wird man automatisch zum Außenseiter.«
Holly nickte zustimmend. »Was war das noch mal für ein Begriff im Titel von Dohertys Arbeit? Libidinal Frenzy? Libidorausch? Ich verstehe jetzt, was er damit meint – es ist fast so, als wären für ein paar Jahre sämtliche Menschen hier zu totalen Psychos
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