Marter: Thriller (German Edition)
hat. Aber selbstverständlich ist nicht jeder dieser Meinung.«
Er fühlte ihr auf den Zahn, versuchte herauszufinden, ob er es hier mit einer überzeugten Feministin zu tun hatte. Doch auch sie konnte nicht aufhören zu überlegen, ob sie wohl wieder einmal für einen Macho und Frauenhasser arbeitete, auch wenn alles auf das Gegenteil hindeutete. Es war einfach schon viel zu häufig vorgekommen, deswegen war sie in der Hinsicht vorsichtig.
»Die Vorgaben des Papstes scheinen mir doch ein wenig … überzogen«, meinte sie.
Er lächelte. »Wenn ich daran denke, wie naiv einige der Dinge sind, die die Kirche so tut. Die haben doch keinen Schimmer davon, was normale Menschen so denken, oder?«
»Nicht wirklich«, erwiderte sie erleichtert. »Wie auch immer, mir kam es jedenfalls so vor, als hätte Pater Cilosi die Möglichkeit, das Opfer könnte etwas mit der Kirche zu tun haben, ziemlich übereilt ausgeschlossen. Vielleicht sollten wir jemanden zu Rate ziehen, der einen anderen theologischen Standpunkt einnimmt, ehe wir uns darauf festlegen, dass er recht hat.«
»Ein guter Vorschlag«, sagte er nachdenklich. »Überprüfen Sie das doch bitte, ja? Gut gemacht, Capitano. Genau diese Art von analytischem Denken vermisse ich oftmals bei Leuten von Ihrem Rang und Ihrer Erfahrung.«
Sie konnte nur hoffen, dass er die freudige Röte in ihrem Gesicht dem Wein zuschrieb.
»Ist Ihnen aufgefallen, dass er gelogen hat?«, fügte er noch hinzu.
»Wer, Cilosi?«, erkundigte sie sich überrascht.
Er nickte. »Als wir ihm diese Tätowierungen gezeigt haben. Ihm war offenbar ein wenig unbehaglich zumute. Und dann kam diese dubiose Antwort, von wegen, er könne uns mit jemandem bekannt machen, der Experte auf dem Gebiet des Okkulten ist. Mir kam es fast so vor, als wollte er andeuten, die Tattoos hätten eine Art düstere Bedeutung, ohne dass er es tatsächlich ausgesprochen hat.«
»Warum hätte er das tun sollen, wenn nicht tatsächlich was dran wäre?«
Piola zuckte die Achsel. »Ich weiß es nicht. Vielleicht liebt er seine Kirche so sehr, dass ihm der Gedanke missfällt, diese Frau könnte irgendetwas mit ihr zu tun haben. Oder vielleicht ist es ganz etwas anderes, irgendwas, das noch nicht mal groß was zu bedeuten hat. Das ist eine Sache, die man über die Ermittlung in Mordfällen lernen muss, Capitano. Man muss nicht notwendigerweise jeder Spur nachgehen. Man greift einfach mal nach den losen Enden und zieht dran, und dann sieht man schon, welche Stränge zu einer Entwirrung des Knotens führen.«
Während sie den Oktopus verspeisten, sagte er im Plauderton: »Erzählen Sie mir doch mal, an welchen anderen Ermittlungen Sie beteiligt waren, Capitano?«
Sie berichtete ihm von ihren jüngsten Fällen, die überwiegend mit Einwanderungsbetrug und kleineren Verstößen zu tun hatten. Er wusste eine ganze Menge über jeden einzelnen Fall und konnte ganz genau sagen, wo Fehler gemacht worden waren, wusste sogar exakt, welche Rolle sie selbst gespielt hatte. Ihr wurde bewusst, dass er sich ein Bild über ihre Kompetenzen machen wollte und welche Aufgaben er ihr bedenkenlos übertragen konnte, doch schmeichelte ihr seine Aufmerksamkeit nichtsdestoweniger. Wie sie beide sich eine Flasche Wein zu dem guten Essen teilten und sich über den Tisch hinweg angeregt unterhielten – unter anderen Umständen wäre das hier wohl eines ihrer erfolgreicheren Dates gewesen.
Sie schob diesen Gedanken beiseite, erschrocken über sich selbst. Katerina Tapo, dieser Mann ist dein Vorgesetzter. Du beschwerst dich doch andauernd, dass Männer dich nicht mit der nötigen Professionalität behandeln; sei wenigstens du jetzt professionell.
Sie setzte sich aufrecht hin, entschlossen, eine etwas angemessenere Haltung einzunehmen. »Tut mir leid, Colonnello. Was haben Sie gesagt?«
Sie stellte ihm Fragen zu seiner Person, doch verhielt er sich in diesem Punkt eher zurückhaltend – auch das ein willkommener Unterschied zu den meisten männlichen Beamten, die sie so kannte, insbesondere deshalb, weil in seinem Fall Bescheidenheit nicht unbedingt geboten war. Bei ihrer Generation von Carabinieri war Aldo Piola berühmt für seine Rolle in einigen der wichtigsten Anti-Mafia-Prozessen. Einige Jahre zuvor war die italienische Regierung dazu übergegangen, bekannte Mafiamitglieder aus dem Süden in den Norden Italiens umzusiedeln, wo sie, so nahm man zumindest an, von ihren Leuten abgeschnitten waren. Diese Politik ging allerdings nach hinten los,
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