Marter: Thriller (German Edition)
denn vor dem Richter etwas bringen, wenn er uns verraten würde, zu welchem Zweck das Opfer kurz vor ihrer Ermordung die Carnivia-Seite besucht hat?«
Malli lachte. »Ich verstehe schon, worauf Sie hinauswollen, Capitano, aber wenn ich Sie wäre, würde ich mir nicht allzu große Hoffnungen machen. Kein Mensch konnte Daniele Barbo je überzeugen, etwas zu tun, was er nicht tun wollte. Und eine Sache, die er partout nicht tun will, ist es, Leuten wie Ihnen oder mir Zugriff auf seine Website zu gewähren.«
Sie schrieb ihre Antwortmail an »Karen«, in der stand, dass sie sie gerne zu der ihr passenden Zeit und an dem ihr passenden Ort treffen wolle. Dann machte sie sich daran, sich ein eigenes Carnivia-Konto einzurichten.
Es war nicht viel komplizierter, als wenn man sich bei einem Onlinehändler registrierte. Zunächst musste sie sich im »Maskenladen« eine Karnevalsmaske aussuchen. Als gebürtige Venezianerin brauchte sie dafür nicht lange: Sie trug stets die Maske der Colombina, eine Halbmaske verziert mit Federn und Spitze. Mit ihrer Erlaubnis durchsuchte die Seite ihren Computer währenddessen nach allen möglichen Informationen.
Nach etwa einer Minute erschien die folgende Nachricht.
Guten Morgen, Capitano Katerina Tapo
Derzeitiger Standort: Hauptquartier der Carabinieri, Venedig
Sind die folgenden Informationen korrekt?
Nun folgte eine ellenlange Auflistung all dessen, was Carnivia über sie hatte in Erfahrung bringen können. Verwundert ging sie die Fakten durch. Die Seite hatte nicht nur ihren Beruf, ihren Rang und ihr Alter bestimmt, sondern auch, mit wem sie zusammenarbeitete, wer ihre Freunde waren, welche Schule sie besucht hatte … Die Liste setzte sich endlos fort.
Dann endete sie plötzlich mit den Worten:
Sorgen Sie sich nicht, hier im Inneren von Carnivia bleiben Sie absolut anonym. Ihre neue Identität lautet Columbina7759.
Was möchten Sie als Nächstes tun?
Unter den verfügbaren Optionen wählte sie »Carnivia betreten« aus.
20
Eine Stunde später schließlich loggte Kat sich aus. Ihr entging nicht, dass ihre Wangen glühten. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Was auch immer sie erwartet hatte, mit Sicherheit nicht das.
Zu Beginn war sie einfach nur herumspaziert und hatte sich an der Tatsache erfreut, dass die dreidimensionale Welt von Carnivia eine exakte Nachbildung der Stadt war, die sie so gut kannte und so sehr liebte. Alles war perfekt, bis ins kleinste Detail, von den schläfrigen roten Katzen, die sich auf Fensterbänken sonnten, bis hin zu der Art, wie das Wasser der Kanäle in der spätnachmittäglichen Sonne glitzerte und sich behäbig mit den Gezeiten hob und wieder senkte. Doch war dies hier ein Venedig ohne den Schmutz und die Touristen – es sei denn, man zählte die maskierten Gestalten dazu, die über die Gehsteige wandelten, in Türen verschwanden und auf Gondeln sprangen, um ihren eigenen Angelegenheiten nachzugehen.
Da sie sich nicht sicher war, was sie als Nächstes tun sollte, folgte sie dem Menschenstrom in den Dogenpalast, wo die Leute etwas in riesigen Büchern nachzusehen schienen, die auf Tischen bereitlagen. Sie trat näher und entdeckte, dass jedes der Bücher Namenslisten enthielt. Als sie den nächstgelegenen Band aufschlug, veränderten sich die Worte. Jetzt standen da plötzlich Namen von Leuten, die sie kannte – Namen, welche die Website sich von ihrer Festplatte gezogen hatte. Hinter einigen Namen waren kurze Bemerkungen zu lesen.
Delfio Cremonesi – vier Einträge
Francesco Lotti – zwei Einträge
Alida Padovesi – sechs Einträge
Alida Padovesi war in ihrem Abschlussjahr an der Ausbildungsakademie für Carabinieri gewesen. Sie hatten sich aus den Augen verloren, obwohl Kat sich ständig vornahm, sie über Facebook zu kontaktieren. Sie klickte auf den Namen. Eine Reihe von Seiten öffnete sich.
Alida Padovesi. Körper 6/10, Gesicht 5/10. Nicht gerade eine Kanone im Bett – sonderbar, denn an Übung hätte es ihr nicht gefehlt. Ich weiß, dass sie mindestens mit zehn anderen Männern was hatte, seit sie nach Mailand versetzt wurde …
Alida Padovesi. Neulich abends waren wir alle gemeinsam in einem Restaurant, und da hat sie mir erzählt, sie würde gern mal mit einer Frau ins Bett steigen. Ich glaube, sie wollte mich nur anmachen …
Alida Padovesi. Warum schläft diese Frau mit Bruno Corsti? Ob das wohl etwas mit der American-Express-Goldcard zu tun haben könnte, die er ihr geschenkt hat?
Das war übel – aber Kat konnte
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