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Marter: Thriller (German Edition)

Marter: Thriller (German Edition)

Titel: Marter: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Holt
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vervierfacht.
    Daniele reagierte nie auf seine Kritiker. Er interessierte sich nicht sonderlich dafür, wofür die Leute seine Website nutzten, und er sah auch nicht ein, warum man ihn verantwortlich machen sollte für die Dinge, die sie posteten. Die Venezianer trugen bereits seit fünf Jahrhunderten Masken – tatsächlich sollen früher Leute, die keine Maske trugen, wenn sie irgendwelchen skandalösen Handlungen nachgingen, sich dem Gesetz nach strafbar gemacht haben. Der Gedanke dahinter war der, dass ein Händler, der sein Vermögen auf einem der Spieltische der casini verspielt hatte oder dessen Ehefrau sich einen Geliebten genommen hatte, auch weiterhin Handel betreiben können sollte, ohne dass er Vertrauen in seine Fähigkeit einbüßte, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Gerüchte und Skandale gehörten zum Leben der Venezianer genau wie der Tanz und ein ausschweifender Lebensstil. Es gab sogar ein eigenes Wort dafür, chiacchiere , welches sowohl »Tratsch« als auch »vergnüglicher Zeitvertreib« bedeutete. Hier in seiner Stadt war das ein alter Hut, eine Kontroverse, die man längst beigelegt hatte.
    Daniele nahm nun inmitten all der anonymen Gestalten Platz, ohne gesehen zu werden, und wartete geduldig ab, bis es zwölf Uhr schlug.
    Er hatte keinen Schimmer, auf wen er eigentlich wartete, geschweige denn, warum. Er wusste lediglich, dass er beim mühevollen Durchforsten der Carnivia-Daten eine oder zwei minimale Unregelmäßigkeiten bemerkt hatte, individuelle Verhaltensmuster, die er sich nicht erklären konnte. Nun war er hier, um sich um eine von ihnen zu kümmern.
    Genau um Punkt zwölf betrat jemand die Welt von Carnivia, machte einen kurzen Spaziergang, postete eine verschlüsselte Nachricht und verschwand dann wieder. Und genau um Punkt zwölf attackierte dieselbe Person oder Organisation, die versuchte, die Server von Carnivia zu überwältigen, sich mit aller Macht gegen seine Verteidigungsmechanismen zu stemmen. Ob es da wohl einen Zusammenhang gab? Er jedenfalls war davon überzeugt. Doch ob dieser Besucher ein Komplize der Angreifer war oder im Gegenteil ihr Opfer, blieb ihm verborgen.
    Und dann erschien eine Gestalt vor ihm, offenbar eine Frau. Zwar war es nicht so, dass das Geschlecht in der Welt von Carnivia dieselbe Bedeutung hatte wie in der wirklichen Welt, da es hier eher um persönliche Vorlieben und nicht um biologische Gegebenheiten ging. Sie trug die Maske der Domino, die so genannt wurde, weil sie auf die Kapuzen von Priestern zurückging, die außen schwarz und innen weiß waren.
    Die Frau drehte sich im Kreis und betrachtete eingehend die Umstehenden, als würde sie nach jemand Bestimmtem Ausschau halten. Dann sprach sie die Anwesenden gesammelt an, was eher ungewöhnlich war. Doch war die Nachricht zugleich chiffriert: Nur diejenigen, für die sie gedacht war, würden sie entschlüsseln können.
    » Wrdlyght? Dth reht jerish?«
    Keine Antwort. Nach einem kurzen Augenblick wandte die Frau sich ab und ging auf den Bootsanleger zu. Sie stieg über die Gondeln hinweg und begab sich in Richtung Innenstadt. Daniele folgte ihr. Nach etwa hundert Metern bog sie ab und huschte in eine kleine Kirche, ein exaktes Abbild von Santa Maria dei Miracoli.
    Noch einmal rief sie: » Wrdlyght? Dth reht jerish?« Und auch dieses Mal blieb eine Antwort aus.
    Die Frau kniete vor dem Altar nieder, als wollte sie beten. Auch das war ungewöhnlich für Carnivia, wo die Leute sich in der Regel eher profaneren Vergnügungen hingaben. Daniele, der sich unbemerkt neben sie gestellt hatte, betrachtete sie. Maske und Kostüm waren Standardausführungen, ganz anders als die detailverliebten Kostümierungen, die die Hardcore-Anhänger von Carnivia oftmals anlegten. Es hätte der Avatar von einem der Hunderttausenden von Nutzern sein können, die beschlossen hatten, in diesem Moment die von ihm geschaffene Welt zu betreten.
    Doch ganz unvermittelt geriet diese Welt ins Wanken. Die wenigsten Leute hätten es überhaupt bemerkt, oder sie hätten angenommen, dass es sich um eine Art Softwarestörung handelte. Daniele aber, der mit jeder einzelnen Zeile des Codes, der hinter dieser Welt steckte, vertraut war, wusste es auf Anhieb.
    Es sah nicht aus wie ein Angriff. Es stürzten keine Feuerbälle vom Himmel; es brachen keine Brocken aus dem Gemäuer und fielen auf die Straßen; es wurde kein Blut in die Kanäle vergossen. Doch die Mauern der Santa Maria dei Miracoli, die aus dem fünfzehnten Jahrhundert

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