Marter: Thriller (German Edition)
Warum nur muss ich immer so verdammt impulsiv sein?
Doch blieb ihr im Moment keine Zeit, über die Sache nachzudenken. Wichtig war jetzt, dass sie so tat, als wäre nichts geschehen. Im Hauptquartier der Carabinieri brodelte die Gerüchteküche immer sehr schnell, erst recht, wenn es um sexuelle Eskapaden ging. Das war einer der Gründe, weshalb sie sich geschworen hatte, nie mit einem Kollegen zu schlafen, und weshalb sie gelegentlichen Zufallsbekanntschaften erzählte, sie arbeite in einem Reisebüro.
Nun ja: Dann habe ich wohl gleich zwei Vorsätze in einer Nacht gebrochen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass die Sache weit ernster war.
Aber wie würde Aldo über das, was geschehen war, denken? Denn bei Licht betrachtet würde er die ganze Sache sehr wahrscheinlich bereuen, sobald er nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern kam. Da war es doch besser, wenn sie gleich so tat, als wäre das alles keine große Sache.
Als sie nun das Hauptquartier betrat, wappnete sie sich innerlich, seinem Blick mit nicht viel mehr als einem Kopfnicken und einem höflichen »Guten Morgen, Colonnello« zu begegnen. Doch letzten Endes war das gar nicht erst nötig. Er befand sich bereits in seinem gläsernen Büro, und sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass der angestrengt gefasste Ausdruck auf seinem Gesicht in Wahrheit unterdrückte Wut bedeutete. Staatsanwalt Marcello war bei ihm – er saß auf Piolas Stuhl, wie ihr nicht entging. Außerdem war da noch eine Beamtin der Carabinieri und eine Frau, die Kat von irgendwoher kannte.
Aber natürlich: das Zimmermädchen aus dem Hotel Europa.
Piola bedeutete ihr, sich zu ihnen zu gesellen. »Avvocato Marcello war äußerst fleißig«, meinte er in neutralem Ton. »Erinnern Sie sich an Ema?«
»Natürlich.« Kat nickte dem Zimmermädchen zu. Sie wirkte ziemlich verängstigt.
»Bei der Durchsicht der Aussage dieser jungen Dame ist mir aufgefallen, dass sie doch recht lückenhaft ist. Da kam mir der Gedanke, sie könnte eine Illegale sein, die nur keine Aufmerksamkeit auf sich lenken möchte. Daher habe ich es mir erlaubt, sie zu einem persönlichen Gespräch zu mir zu zitieren, und ihr die Möglichkeit unterbreitet, man könne ja ein gutes Wort bei der Einwanderungsbehörde für sie einlegen, wenn sie ein umfassenderes Geständnis ablegt.« Er hielt ein Dokument hoch, das in einer Plastikhülle steckte. »Ich habe es hier.«
Kat nahm ihm das Schreiben ab und überflog den Text.
Einmal betrat ich das Zimmer und ertappte die beiden Frauen dabei, wie sie sich küssten … Und ein anderes Mal war anhand der zerwühlten Decken erkennbar, dass sie Sex gehabt hatten … Ich glaube, einmal hab ich sogar gehört, wie sie sich in ihrem Zimmer heftig gestritten haben …
Sie warf dem Zimmermädchen einen kurzen Blick zu, doch diese hielt die Augen auf den Boden gesenkt. »Ema? Ist das wahr?«
Das Mädchen nickte nur, wenn auch ein wenig zögerlich. Zumindest kam es Kat so vor.
»Nun, dieses Dokument scheint Ihre These ja zu bestätigen, Avvocato«, sagte Piola mit verächtlicher Gleichgültigkeit, während die Beamtin der Carabinieri Ema abführte.
»Ich korrigiere, Colonnello. Dieses Beweisstück …«, und Marcello betonte das Wort mit allem Nachdruck, »… liefert uns zugleich auch ein erstes handfestes Motiv in diesem Fall. Darüber hinaus erklärt es, weshalb die forensischen Befunde am zweiten Tatort nicht zusammenpassen. Das Zimmermädchen wollte um jeden Preis vermeiden, dass die Tat bekannt wurde, da ihr klar war, dass sonst die Polizei auf sie aufmerksam werden würde. Daher machte sie weit gründlicher sauber, als Ihnen bewusst war.«
»Andererseits haben wir aber auch den Hinweis auf das organisierte Verbrechen, und zwar in Form des Leichnams von Ricci Castiglione …«, hob Piola an.
Marcello aber fiel ihm ins Wort. »Das ist keineswegs ein Hinweis, Colonnello, da wir nämlich keinerlei Beweise dafür haben, dass hier überhaupt ein Zusammenhang besteht. Ein Krimineller ist – so behaupten zumindest Sie – von anderen Kriminellen umgebracht worden. Die Tatsache, dass er am Rande auch mit Ihren Ermittlungen zu tun hatte, ist noch lange kein Beweis.«
»Wir haben aber eine Zeugenaussage, die ihn mit der Tat in Verbindung bringt.«
Marcello runzelte die Stirn. »Von wem?«
»Einem Fischer. Er hat Ricci Castigliones Boot in der Mordnacht bei Poveglia gesehen.«
»Aber nicht Castiglione selbst?«
»Nein«, gab Piola zu.
»Dann ist das noch
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