Martha Argerich
Verunsicherung bei dem Studenten hervorrief. Viel, viel später, im Jahr 2000, suchte Eduardo Hubert sie erneut nach einem Konzert auf, erfüllt von der wilden Hoffnung, dass sie bei seinem Festival im italienischen Pescara spielen möge. Dieses Mal erkannte sie ihn sofort und erwiderte: »Klar, warum nicht auch bei dir?« Hubert transkribierte für diesen Anlass drei Stücke von Piazzolla, darunter den berühmten Libertango , mit dem sie mehrmals zusammen auftraten.
In Argentinien begegnete Martha auch alten Bekannten wie Efraín Paesky wieder, dem Freund Friedrich Guldas, den sie in Genf kennengelernt hatte. Er stellte ihr feierlich seine Frau vor, doch die Pianistin würdigte sie keines Blickes. Peinlich berührt, denn er wusste, dass sich seine Frau viel von der Begegnung erwartet hatte, stellte Paesky sie ihr erneut vor. »Warum willst du, dass ich mich mit ihr befasse?«, erwiderte Martha ärgerlich. »Mein Freund bist du, nicht sie! Ich kenne sie nicht.« Martha Argerich hat eine solche Abneigung gegen Konventionen, dass sie vor nichts zurückscheut, um sich ihnen zu entziehen. Wenig später trat sie auf diejenige zu, deren Bekanntschaft zu machen sie so brüsk abgelehnt hatte, um sich ihr auf ungezwungene Weise zu nähern.
Im Juli 1969, dem Jahr ihrer Hochzeit mit Charles Dutoit, gab Martha Argerich zwei Konzerte im Teatro Colón und kehrte zwei Jahre später nach Buenos Aires zurück, um dort Urlaub mit ihrem Mann zu machen. Dann ließ sie fünfzehn Jahre vergehen, ohne einen Fuß nach Argentinien zu setzen. Schockiert vom Putsch der Militärjunta 1973, weigerte sie sich, die Verbrechen der Diktatur zu akzeptieren. 1983, nach der Niederlage im Falklandkrieg, kehrte die Demokratie Stück für Stück zurück. So wurde ein Besuch der Heimat für sie langsam wieder möglich.
Als sie 1986 dann tatsächlich nach Argentinien kam, wurde dies gefeiert wie ein Ereignis von nationaler Tragweite. Der Zeitung La Nación , die die Gründe für ihren Besuch wissen wollte, erkärte sie: »Mir hat irgendwas gefehlt im Leben.« Sie war wütend darüber, dass sie in all den schwierigen Jahren nur sieben Briefe von ihrem Vater erhalten hatte. Nach der Scheidung von Juanita hatte Tyrano noch einmal geheiratet (in Mexiko, weil es ihm in Argentinien verwehrt geblieben war), eine Hebamme, die ihm einen Sohn gebar. Martha fand es merkwürdig, einen Halbbruder zu haben, der jünger war als ihre dritte Tochter.
Sie trat im Rahmen einer Veranstaltung der Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft auf, deren Vorstandsvorsitzende Ellen Rottenberg ein Rheumazentrum finanzierte. Auf dem Programm nicht weniger als drei Klavierkonzerte: Beethovens zweites, das erste von Liszt und das ewige dritte von Prokofjew mit dem Symphonieorchester von Buenos Aires unter Leitung Simono Blechs. Vielleicht wollte sie damit ihre lange Abwesenheit wiedergutmachen …
Anlässlich ihres Aufenthaltes hatte ihr Freund Abraham Finkelstein in seiner Wohnung gegenüber dem Nationalmuseum der Schönen Künste eine Klavierwerkstatt auf die Beine gestellt, um ihr ein paar junge Talente vorzustellen. Als sie die Wohnung betrat, erregte der offizielle Charakter der Veranstaltung sofort ihr Missfallen. Neben den fünfzehn auserwählten Virtuosen hatten rund einhundert Zuhörer das Wohnzimmer besetzt, darunter ein paar Kinder in Sonntagsstaat und mehrere Fotografen, die mit ihrem Blitzlichtgewitter die Atmosphäre störten. Mit versteinerter Miene flüchtete sich Martha in die Küche und
weigerte sich, diese wieder zu verlassen. Verlegenheit machte sich breit nach diesem unerwarteten Rückzug. Endlich gelang es Finkelstein, sie zum Verlassen ihrer Fluchtburg zu bewegen. Er musste ihr jedoch versprechen, die Atmosphäre irgendwie aufzulockern. »Wir werden ein Chaos veranstalten!«, rief irgendjemand und setzte sich zum Beweis seines guten Willens auf den Fußboden. Die Männer zogen ihre Jacketts aus, die Frauen begannen sich miteinander zu unterhalten. Um nicht fotografiert zu werden, drehte Martha sich mit dem Rücken zum Publikum. Einige Kinder riefen daraufhin: »Hört endlich auf, sie zu fotografieren, sie wird sonst wütend!« Reumütig packten die aufdringlichen Fotoreporter ihre Objektive wieder ein. Die »Soiree« dauerte fünf Stunden lang, von sechs Uhr abends bis ein Uhr nachts. Vor allem die Darbietung eines siebzehnjährigen Pianisten mit sanften Augen hatte es Martha angetan, Nelson Goerner, der gerade den Franz-Liszt-Wettbewerb in Buenos Aires gewonnen
Weitere Kostenlose Bücher