Martha Argerich
ganzen Land ein Netzwerk aufgebaut, das Kinder aus sozial schwachen Familien mithilfe von Musik vor der ihnen bevorstehenden Arbeitslosigkeit und Kriminalität bewahren sollte.
2006 trat Martha vor jungen Straftätern auf, die kurz vor der Resozialisierung standen. Einer der Häftlinge setzte sich ans Klavier. Beeindruckt von seiner Musikalität, setzte sie sich dafür ein, dass ein Klavierlehrer gefunden wurde, der ihn im Gefängnis unterrichten kam.
In Japan kann Martha auf eine treue Fangemeinde bauen, die alle ihre Konzerte besucht und stundenlang ansteht, um sich von ihr CD s, Programmhefte und Poster signieren zu lassen. Das Klavier ist in Japan ein geradezu heiliges Instrument. Alfred Cortot hatte von der japanischen Regierung einst eine ganze Insel geschenkt bekommen. Wo sonst wäre so etwas vorstellbar? Die Japaner nannten die Insel »Cortoshima«, was so viel bedeutet wie »ein Einsiedler auf der Insel der Träume«.
Übrigens heißt Martha Argerich auf Japanisch »Malouta Aougerichi«. Eine nützliche Information, falls Sie eines Tages auf Entdeckungsreise in jenes wunderschöne Land fahren sollten … Malouta erinnert sich gern daran, dass ein Tokioter Rennstallbesitzer einem seiner besten Vollblüter ihren Namen gab: »Mittlerweile ist er alt und läuft keine Rennen mehr, während ich noch immer im Geschirr bin.«
Argentinien
Rückkehr in die Heimat
Jede Rückkehr von Martha nach Argentinien sorgt für Schlagzeilen in den einheimischen Zeitungen. Ihr zweifacher Sieg in Bozen und der in Genf mit sechzehn Jahren haben ihr den Status einer Nationalheldin eingebracht. Im März 1965, als sie als erste Südamerikanerin den Chopin-Wettbewerb gewann, den begehrtesten von allen, wurde sie zu einer echten Legende in ihrem Heimatland.
Im Juli desselben Jahres kam sie zum ersten Mal zurück nach Buenos Aires, nach zehn Jahren Abwesenheit. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Vater und ihren Bruder wiederzusehen, die 1959 nach Argentinien zurückgekehrt waren. Das Programm, das sie im Teatro Colón absolvierte, kam einer Visitenkarte gleich. Zuerst die Toccata von Schumann, die ihr lange Zeit dazu diente, um sich »warm« zu spielen und ihrer Umgebung zu bedeuten, dass sie guter Dinge war. Wie Liszt liebt sie dieses Stück ganz besonders. Wenn einer seiner Schüler in Weimar es spielen wollte, sagte er genießerisch: »Ah, das ist ja mal etwas wirklich Schwieriges!« Dann Schumanns Fantasie C-Dur , diesen leidenschaftlich-romantischen Schrei nach Liebe, die sie erst mit dreiundzwanzig Jahren für sich entdeckte – am 22. November 1963, dem Todestag John F. Kennedys, bei einem Konzert des belgischen Pianisten Michel Block. Es ist ein Jammer, dass sie dieses Franz Liszt gewidmete Stück nie aufgenommen hat. Liszt widmete seinerseits Schumann, als der bereits dem Wahnsinn verfallen war, seine h-Moll-Sonate . Danach die heißblütige, stürmisch drängende Klaviersonate Nr. 3 von Prokofjew und schließlich den späten Chopin – diesen »Slawen mit italienischer Edukation«, wie Ravel ihn bezeichnete – mit der Barcarolle und der Klaviersonate Nr. 3 , jenen Meisterwerken melancholischer Klarheit.
Nach Ansicht diverser Zuhörer war dieses Recital außergewöhnlich brillant, doch Martha fand, sie habe schlecht gespielt, und wollte zum Schlussapplaus nicht zurück auf die Bühne. Der Abend nach dem Konzert war lang wie immer. Ihre Garderobe erinnerte an den Schiffsrumpf in Die Marx Brothers auf See , der sich immer wieder neu mit Wasser füllt. Ihrer Gewohnheit entsprechend ließ die Pianistin sich viel Zeit, hielt ihre Schwätzchen, überspielte die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, mit ihrem herzlichen klaren Lachen, betrachtete schief ein Gesicht, das sie nicht sofort zuordnen konnte, bombardierte im selben Augenblick ein anderes, das ihr Interesse geweckt hatte, mit Fragen und bat schließlich darum, sich umziehen zu dürfen, ohne dass auch nur irgendjemand daran dachte, ihrem Wunsch, allein zu sein, Folge zu leisten. Der Pianist Eduardo Hubert war auch gekommen, ihr seine Glückwünsche auszusprechen. Sein Professor hatte ihm Martha vor dem Konzert kurz vorgestellt, aber er wollte einen persönlicheren Kontakt zu ihr aufbauen. Indem er seinen ganzen Mut zusammennahm, gelang es ihm, sich bis zu der Diva vorzukämpfen, die ihn bat, sie am nächsten Tag anzurufen. Martha konnte sich prompt nicht mehr an ihn erinnern und rief aus: »Was will der Typ von mir?«, was Gelächter bei ihrer Entourage und
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