Martha Argerich
nur den einen Wunsch, ihm zu helfen. Aber jeder Versuch, mit ihm zu kommunizieren, erwies sich als aussichtslos. Er begnügte sich einfach damit, lächelnd den Kopf zu schütteln. Nie um eine Lösung verlegen, kam Martha schließlich auf die Idee, ihm einen Lehrer zu besorgen. Die Musikkapelle Königin Elisabeth in Brüssel war bereit, ihn als Schüler aufzunehmen, doch er schüttelte wieder nur den Kopf, ohne die kleinste Erklärung zu liefern. Alberto Ghisi, Direktor der Banca della Svizzera Italiana ( BSI ) und Hauptsponsor des Festivals von Lugano, schlug vor, ihn in der renommierten International Piano Academy Lake Como bei Cadenabbia am Westufer des Comer Sees unterzubringen: die gleiche hartnäckige Weigerung! Wollte er seine Mutter ärgern, oder hatte er einfach nur Angst? Martha, die nie zugeben kann, dass sie eine Schlacht verloren hat, ließ ihm eine Einladung zum Festival von La Roque d’Anthéron zukommen. Dieses Mal spielte er: drei Schubert-Impromptus, zwei Skjrabin-Etüden, ein Rachmaninow-Prélude. Eine DVD zeugt von diesem Auftritt. Als er sechzehn Jahre alt wurde, zeigte der unbestritten hochtalentierte Adriel Gomez Mansur wirklich ernsthafte Anzeichen einer massiven Störung. In Marthas Brüsseler Haus fing er an zu randalieren, die Flügel zu malträtieren, die sechs Katzen zu quälen. Am Ende stellte die Pianistin einen Scheck aus, damit seine Mutter ihn zur Behandlung nach Argentinien zurückbringen konnte.
Während dieser Zeit, 2004, wurde das Festival Martha Argerich in Buenos Aires von weiteren Problemen heimgesucht. Die argentinische Ölgesellschaft, Hauptsponsor der Veranstaltung und mit voller Wucht von der Krise getroffen, reduzierte drastisch die finanziellen Zuwendungen. Nach einem Streit mit Luis Cardelicchio zog auch das argentinische Energieunternehmen Bridas Corporation von Carlos Bulgheroni (der zwischen Russland und Afghanistan Gaspipelines verlegen wollte) seine Unterstützung zurück. Im Stich gelassen von der High Society von Buenos Aires, verkündete Martha, dass sie den Festivaljahrgang 2005 aus eigener Kraft stemmen wolle. Schließlich kam es für sie nicht in Frage, diese Niederlage hinzunehmen und sich von der Arroganz des Geldes bestimmen zu lassen.
Im Jahr darauf musste sie eine weitere böse Überraschung erleben. Unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und mageren Löhnen, begannen die Orchestermitglieder und Techniker des Teatro Colón ausgerechnet am Abend ihres Auftritts mit Charles Dutoit zu streiken. Martha wurde an ihrer linken Flanke angegriffen, von denjenigen, deren Loyalität sie sich stets so gewiss gefühlt hatte. Sofort schlug sie sich auf die Seite der Streikenden und unterstützte ihre Forderungen im Fernsehen. Doch in ihrem tiefsten Innern war sie sehr verletzt. Ihre Position war unklar, denn aus Sicht der Arbeiter und Angestellten repräsentierte sie jemanden, der Musik für die Reichen machte. Aber zugleich wollte man natürlich ihre gesellschaftliche Stellung für sich nutzen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erringen. Im selben Jahr, da sie in Japan gefeiert, ja sogar vom Kaiser empfangen wurde, zeigte man im eigenen Land mit dem Finger auf sie.
Am Ende jenes Unglücksmonats, im September 2005, wies ihre Stiftung ein Defizit von 80 000 Dollar auf. Martha bezahlte zwar sämtliche Rechnungen, war aber wenig geneigt, das Abenteuer unter solchen Umständen fortzusetzen. Sie war bitter enttäuscht über die Unregelmäßigkeiten in der Buchführung, die sich bei der Überprüfung der Konten ergeben hatten. Eine Reihe von Leuten hatte sich offenbar in voller Absicht auf ihre Kosten bereichert, und nun wies jeder dem anderen die Schuld zu. Martha enthielt sich jedes Kommentars. Sie schlug lediglich ein neues Kapitel auf.
Paris
Kinderszenen
Alles war perfekt organisiert für die Feier zum sechzigsten Geburtstag des Konzertagenten Jacques Thélen. In der Brasserie
La Lorraine an der Place des Ternes neben der Salle Pleyel hatte man einen Tisch reserviert. Der Dirigent Myung-Whun Chung kam mit seiner Frau Sunyol, gefolgt von Nicolas Angelich, Renaud und Gautier Capuçon. Annie Dutoit und ihr Sohn Lucas nahmen an dem Tisch Platz. Später setzten sich der Trompeter Sergei Nakariakov und Evgeny Kissin, die zufällig vorbeikamen, ebenfalls dazu. Der russische Ausnahmepianist stürzt Martha immer wieder in Verwirrung. »Ach, wenn ich doch nur zwanzig Jahre jünger wäre!«, sagt sie manchmal. Als sie ihn zum ersten Mal hörte, hatte sie Schmetterlinge im
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