Martha Argerich
ihre Tochter reizte sie allerdings nicht so sehr Friedrich Gulda wie die Vereinigten Staaten … Aber wie sollten sie das anstellen – ohne Geld? Glücklicherweise war der damalige Gouverneur von Buenos Aires ein großer Bewunderer von Martha. Er versprach, mit Juan Perón zu reden, dem Präsidenten des Landes, und hielt tatsächlich Wort. Schon bald klingelte in der Avenida Obligado das Telefon: Das Mädchen solle sich in zwei Tagen pünktlich um sieben Uhr im Präsidentenpalast vorstellen. Martha fand den umstrittenen Politiker, einen Linken, der jedoch als populistisch und autokratisch galt, nicht besonders sympathisch. Scaramuzza, der in der Nähe einer Polizeistation lebte, hatte ihr einmal von den Schreien der gefolterten Gefangenen erzählt, die ihn nachts nicht schlafen ließen. Als Anhänger der extremen Rechten verabscheute Juan Manuel Argerich den argentinischen caudillo aus tiefstem Herzen, doch für die rote Juanita war er ein Held. Noch dazu hatte er den Frauen das Wahlrecht verliehen! Sie war schließlich diejenige, die Martha am 13. August 1954 in aller Herrgottsfrühe in die Casa Rosada begleitete. Perón war sehr freundlich zu der jungen Pianistin. Juanita erklärte ihm ihre Situation und versprach ihm, sowohl aus tief empfundener innerer Überzeugung als auch um seine Gunst zu gewinnen, dass die Kleine ein Konzert geben werde, um seine Partei zu unterstützen. Mit königlicher Geste gebot ihr Perón zu schweigen: »Nein, Señora, Ihre Tochter ist für andere Dinge bestimmt.« Sodann betrachtete er das Kind mit mildem Blick: »Nanita, wohin möchtest du gehen?« Sie erwiderte kaum hörbar: »Nach Wien.« Mit einem breiten Lächeln, nachdem er ihrer Mutter, die nicht zu protestieren wagte, einen kurzen Blick zugeworfen hatte, fuhr er fort: »Du möchtest also gar nicht nach Amerika?« Martha zog eine Grimasse, während Juanita sich auf ihrem Stuhl wand. »Nein, ich möchte nach Wien!« Und als Perón die Augenbrauen hob, sagte sie noch: »Ich möchte mit Friedrich Gulda zusammenarbeiten.« Als hätte ihre Antwort ihn zufriedengestellt, schien der argentinische Präsident ihr Gespräch mit den Worten zu beenden: »Du hast recht, Wien ist eine schöne Stadt.« Doch dann drehte er sich maliziös lächelnd zu Juanita um: »Ich weiß sehr wohl, dass Ihr Mann meine politischen Überzeugungen nicht teilt, aber wir werden ihm trotzdem eine Aufgabe da unten geben.« Juan Manuel erhielt eine Stelle in der argentinischen Botschaft von Wien, in der auch Juanita in der Verwaltung einen Posten fand, denn Perón bestand darauf, dass »die Familie nicht auseinandergerissen« würde. Als sie sich von ihm verabschiedete, überreichte die dankbare Martha ihm ihr kostbares Autogrammheft, das die Signaturen ihrer geliebten musikalischen Heroen enthielt. »Adelante, Marthita!« (»Vorwärts, kleine Martha!«), schrieb der Präsident in bescheidenen Worten, bevor er seine Gäste zur Tür hinausbegleitete.
Die Abreise wurde für den Beginn des Jahres 1955 festgelegt. Die Argerichs und ihre beiden Kinder begaben sich also mitten im argentinischen Sommer in den harten österreichischen Winter. Cacique, der darunter litt, bei seinen Großeltern leben zu müssen, war überglücklich, von nun an jeden Tag bei seiner Familie sein zu können. Aber dafür musste er jetzt wieder die ewige Litanei hören: »Lass deine Schwester in Ruhe üben!« Die Reise verlief ohne Zwischenfälle. Bis Rio de Janeiro mit dem Schiff, danach mit dem Flieger nach Lissabon und schließlich mit dem Zug nach Paris, wo man sich den einzigen touristischen Aufenthalt gönnte, weil Martha davon träumte, die Stadt des Lichts kennenzulernen, den Louvre und das Versailler Schloss. Die letzte Etappe bis nach Wien wurde dann wieder mit dem Zug zurückgelegt.
Währenddessen hatte Gulda sich Efraín Paesky anvertraut, einem sehr begabten argentinischen Pianisten, den er als Schüler bei Bruno Seidlhofer untergebracht hatte: »Ich habe ein fantastisches Mädchen kennengelernt, mit einer schrecklichen Mutter.« Er schien ihre Ankunft voller Ungeduld zu erwarten, aufgeregt und nervös wie ein Schuljunge.
Erst kürzlich hat Martha ein Foto aus ihren ersten Jahren in Wien wiedergefunden. Es zeigt sie an der Seite ihres berühmten Lehrers. Ihr kurzes Haar, ihre natürliche Schüchternheit verleihen ihr das Aussehen eines gerade aus dem Nest gefallenen Vögelchens. Wenn man das Bild näher betrachtet, kann man nicht umhin, eine verblüffende Ähnlichkeit mit Evgeny
Weitere Kostenlose Bücher