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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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Mal auf kleine Zettel auf. Wenn Martha von ihm wegging, war sie jedes Mal vollkommen aus dem Häuschen. »Heute sagt sie, dass sie verliebt in ihn gewesen sei«, erzählt ihre Freundin Karin Merle, aber damals war davon nicht die Rede. Sie war ja noch ein Kind. Mit ihren kurzen Haaren und der Aura eines traurigen kleinen Prinzen im Exil verströmte sie noch nicht die Sinnlichkeit, die ihr später eigen war. »Wahrscheinlich bist du ein Hermaphrodit, Argerich«, diagnostizierte Gulda, wobei er ebenso an ihre Person wie an ihre Musik dachte. »Das Klavier ist ein hermaphroditisches Instrument!«, erwiderte sie lachend. »Es hat alles: Tiefen, Höhen, Melodien, Harmonien – und es genügt sich selbst.« Ein Psychoanalytiker sagte einmal, Martha habe keine genau definierte sexuelle Identität. Ihre erste Erfahrung auf dem Gebiet spielte sich übri-
gens in Wien mit einem jungen Puerto Ricaner ab – »der schönste Junge, den ich je gesehen habe«. Er nahm sie mit auf sein Zimmer und legte sich splitternackt aufs Bett. Amüsiert nahm sie sämtliche Rosen aus einer Vase und drapierte sie kunstvoll um den Epheben herum.
    Mit Sicherheit war Martha zu fasziniert von ihrem Klavierlehrer, um sich für diesen Adonis zu interessieren. Ihre erotischen Regungen dürften von der Musik nicht zu trennen gewesen sein, von der sie gänzlich durchdrungen war. Als wenn die Klänge der natürlichste Weg gewesen wären, die Sinne des kurzsichtigen jungen Mädchens zu erwecken, das sich nie dazu durchringen konnte, eine Brille zu tragen. Gulda gab ihr nicht nur in musikalischer Hinsicht etwas. Sie schwärmte für seine enfant-terrible -artige Persönlichkeit, seine Aversion gegenüber noch so kleinen Zugeständnissen, sein Desinteresse an den Preisen und Zuwendungen der besseren Gesellschaft. Als ihn die Wiener Musikakademie mit der Verleihung des Beethoven-Rings ehren wollte, besuchte Gulda die Galaveranstaltung, um den Preis öffentlich abzulehnen. »Ich halte ein so durch und durch konservatives Institut wie die Wiener Staatsakademie nicht für berechtigt, eine Auszeichnung zu vergeben, die diesen Namen trägt«, provozierte er die Repräsentanten der Akademie. Niemand wagte ihm zu widersprechen. Er hatte etwas von Prokofjew an sich in seiner unsentimentalen Art, die manche Leute für herzlos hielten, in seiner brutalen Ästhetik des absoluten Freigeistes .
    In Wien spielte Martha nicht vor Publikum. Außerhalb des Unterrichts hatte sie vor allem ihr Vergnügen im Sinn. Mit ihrer Freundin Karin Merle zusammen liebte sie es, »die Bourgeoisie zu schocken«. So forderten die beiden Mädchen etwa bei einem Empfang der argentinischen Botschaft die geladenen Gäste mit vollkommen ernsten Gesichtern auf, ihnen ihren Bauchnabel zu zeigen, der gebe nämlich Aufschluss über die tiefsten Geheimnisse der Persönlichkeit. Je konsternierter sich die Angesprochenen zeigten, desto diebischer freuten sich die jungen Mädchen.
    Auch Friedrich Gulda konnte die verrücktesten Dinge tun. Nachdem er mitbekommen hatte, wie sein Professor Bruno Seidlhofer sich darüber beklagte, dass Gott den Menschen nicht mit dem Kopf nach unten erschaffen habe, damit das Gehirn von Anfang an besser durchblutet sei, ging er jedes Mal in den Kopfstand, wenn es ihm an Inspiration mangelte. Gulda schreckte vor nichts zurück. In einem Filmporträt sieht man ihn zusammen mit seiner Frau eine eigene Komposition vorspielen: Beide sind sie nackt wie Regenwürmer …
    Neben seiner Tätigkeit als klassischer Pianist trat er unter dem Namen Albert Golowin in Clubs auf, wo er Jazz spielte und improvisierte. Er war einer der ganz wenigen klassischen Musiker, die auf professioneller Ebene Jazz spielen. Gulda drängte auch Martha in diese Richtung. Er war derjenige, der sie Erroll Garner und viele andere Jazzmusiker wie etwa Art Tatum entdecken ließ (der übrigens auch von Horowitz sehr verehrt wurde). Heute verbringt Martha viele Stunden vor ihrem Laptop, um sich auf YouTube Filme über die großen Jazzer anzuschauen, doch sie selbst hat sich an dieses Genre nie herangewagt. So wie Samson François, noch so ein Nachtschwärmer-Pianist, der die Clubs von Saint-German-des-Prés frequentierte, aber jedes Mal höflich verneinte, wenn er zur finalen Jamsession auf die Bühne gebeten wurde.
    Von Guldas eigenen Kompositionen sind in erster Linie seine Kadenzen bekannt, die er für Mozarts Klavierkonzerte schrieb. Ab 1962 trat er, auf den Luxus üppiger Gagen verzichtend, zunehmend weniger

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