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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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von Debussy, Bartók, Strawinsky und Prokofjew konnte er sich bald in der internationalen Szene einen Namen machen.
    Um ungestört arbeiten zu können, richtete sich Michel Béroff in Marthas Haus ein kleines Studio ein. Er gab seine Konzerte und kehrte mit dem ersten Flugzeug zu seiner Geliebten zurück. Ein paarmal traten sie sogar zusammen auf, in Montreux oder Locarno, schwere und gewaltige Programme: Liszt, Debussy, Brahms, Rachmaninow, Ravel. Doch nach und nach erkannte der Fischer, dass er einen Fisch geangelt hatte, der zu groß für ihn war. Die Faszination, die seine Gefährtin auf ihn ausübte, lastete schwer auf ihm; allmählich wurde sie zur Qual. Sie raubte ihm seine Energie und zerstörte seine Urteilsfähigkeit; durch sie verlor er seine Persönlichkeit. Sie hatte alles von ihm wissen wollen, und er hatte ihr alles gesagt. Ab dem Moment fühlte er sich seiner selbst beraubt, nackt, verletzlich, ausgelaugt. Er mochte sein eigenes Klavierspiel nicht mehr, fand es überladen, brutal. Ihres indes blieb rein und schön, obwohl sie eine solch ungeheuerliche Kraft besaß. Und all das ohne die kleinste Anstrengung, das war wirklich entmutigend! Er träumte von ihren Klangfarben und hatte Angst, sie zu imitieren. Martha tat ihr Bestes, um ihm sein Selbstbewusstsein zurückzugeben, machte sich kleiner, als sie war, und tat so, als gäbe es nichts, was sie voneinander trennte. Um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können, ging auch er erst im Morgengrauen zu Bett und stand wie erschlagen wieder auf. Wenn sie schlechte Laune hatte, machte sie ihm schreckliche Szenen, die ihn zutiefst erschütterten. »Er war zu schwach, sie hat ihn kaputt gemacht«, so das Urteil von Yves Petit de Voize, der damals das Festival von Montreux leitete.
    Mit der Zeit verspürte Michel Béroff immer größere Schmerzen im rechten Arm. Seine Finger reagierten nicht mehr so schnell wie früher. Die Ärzte sprachen zunächst von Überanstrengung. Er lege nicht genügend Pausen ein, setze seine Nerven und Sehnen einer zu harten Beanspruchung aus. Das Paar ging dazu über, ein ruhigeres Leben zu führen. Martha versuchte sogar, früher ins Bett zu gehen, um ihren Gefährten nicht in seiner Erholung zu stören. Doch das Übel schritt weiter voran. Die rechte Hand war nicht mehr in der Lage, virtuosere Passagen zu spielen, sie verlor an Erinnerungsvermögen und Spannkraft. Die Ärzte bemühten nunmehr das Gespenst der Gliederdystonie, auch »Schreibkrampf« genannt. Eine schwere neurologische Störung, die sowohl psychische als auch physische Ursachen haben kann und für die man damals noch keine Behandlungsmethoden hatte.
    Martha tat, was sie konnte. Sie fragte jeden, der es wissen mochte, ob er nicht zufällig einen Spezialisten für diese Erkrankung kenne. Sie machte Termine mit den namhaftesten Neurologen und bemühte selbst irgendwelche Wunderheiler, Knochenklempner und sonstige Quacksalber. Doch es half alles nichts. Michel Béroff, der zutiefst verzweifelt war, konnte ihre Anwesenheit nicht mehr ertragen, denn ihre Virtuosität führte ihm sein eigenes Versagen immer wieder vor Augen.
    Überzeugt, sein Überleben hänge davon ab, kehrte er schließlich nach Paris zurück. Nach vier Jahren der Leidenschaft dauerte die Trennungsphase vier Monate. Einhunderteinundzwanzig Nächte der Tränen und Tiraden am Telefon. Martha verstand nicht, warum er gegangen war. Sie weigerte sich, auch nur den geringsten Zusammenhang zwischen seiner Krankheit und ihrer Beziehung zu sehen. »Das Klavier steht zwischen dir und mir? Was für ein Quatsch! Das Klavier steht auch zwischen mir und mir!« Sie verbrachte ganze Tage weinend und tobend auf ihrem Bett. Abends schrieb sie ihm flammende Briefe. Vierundzwanzig alles in allem … »Ein Gutes hatte die Sache wenigstens: Sie hat abgenommen«, so Stéphanie im Rückblick.
    Die beiden Künstler trafen sich ein paar Jahre später in Japan wieder. Die Wunden waren vernarbt. Michel Béroff hatte nach und nach die Gewalt über seine beiden Hände wiedererlangt, nachdem er sich lange mit dem Repertoire für die linke Hand hatte begnügen müssen, der »sinistren« Musik (auf Italienisch ist die linke Hand la mano sinistra ), wie Leon Fleisher zu scherzen beliebte, der mit dem gleichen Leiden geschlagen war. Er unterzog sich einer lang andauernden Rehabilitation, an deren Ende er sich Botox in den Unterarm spritzte. Martha und Michel traten 2002 in der Cité de la musique in Paris erstmals wieder zusammen auf. Auf dem

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