Martha Argerich
Programm standen das Arrangement der Symphonie Nr. 1 (die »Klassische«) von Prokofjew, Milhauds Scaramouche , Rachmaninows Symphonische Tänze und Ma mère l’oye von Ravel. Die Musik hatte sie wieder vereint.
1987, kaum war die Trennung von Michel Béroff vollzogen, lernte Martha beim Festival im französischen Vence, das ihr Freund Ivry Gitlis veranstaltete, Alexandre Rabinovitch kennen. Der hervorragende Pianist, Komponist und Dirigent war 1974 aus der UdSSR geflüchtet. Mstislaw Rostropowitsch meinte, Rabinovitch sei zwar ein Genie, habe aber überhaupt kein Talent. Was Martha nicht daran hinderte, sich für diesen Menschen zu begeistern, der eine so große Begabung für die Musik hatte, doch so wenig geeignet für eine Karriere war. Ihre Liebesbeziehung hielt zehn Jahre an. Mit einem selbstbewussten Künstler-Ego ausgestattet, fand Alexandre Rabinovitch es völlig normal, dass sich Martha für seine Zwecke einspannen ließ und seine ständige Begleiterin wurde.
Häufig spielten sie Stücke für zwei Klaviere oder vierhändig. Mehrere grandiose Schallplatten, die bei Teldec erschienen sind, zeugen von jener wunderbaren Zusammenarbeit. Sie nahmen die Suiten und Tänze von Rachmaninow auf, Mozart-Sonaten, Paul Dukas’ Zauberlehrling , Ravels Valse , die Sinfonia domestica von Richard Strauss … Alexandre Rabinovitch brachte Martha dazu, sich mit Messiaens Visions de l’Amen und mit Skrjabins Promethée zu beschäftigen. Doch er vermochte es nicht, ihren instinktgesteuerten Charakter zu erfassen, ihr Unvermögen zu akzeptieren, die Dinge rational und analytisch anzugehen. Mitzubekommen, wie sie sich in die schwierigsten Partituren versenkte, ohne die jeweilige Problematik überhaupt zu bemerken, machte ihn schier wahnsinnig. Er quälte sich damit ab, ihr Bewusstsein für ebendiese Dinge zu wecken, wollte sie erziehen, formen, ihr seine Arbeitsweise aufzwingen. Sie ließ sich nicht beirren.
Überzeugt von Rabinovitchs Qualitäten, unterstützte Martha ihn, wo sie nur konnte, plagte sich mit Konzertveranstaltern ab, die ihn aufgrund seines Aussehens und schwierigen Charakters ablehnten. Auch wenn er als Dirigent die erstaunlichsten Resultate erzielen konnte, waren die Musiker dennoch oft peinlich berührt von seinen schmarotzerhaften Attitüden und seinem seltsamen Auftreten. Den kleinsten Luftzug wie der Teufel das Weihwasser meidend, dirigierte er häufig in Mantel und Schal, während der Rest der Welt vor Hitze fast verging. Mehrmals wurde ihm von der Feuerwehr untersagt, sein kleines Elektroöfchen zu benutzen, ohne das er keinen Schritt unternahm. Obwohl sie mit all denjenigen haderte, die sich an solchen Details störten, hatte Martha selbst schwer unter seinen Eifersuchtsattacken und krankhaften Empfindlichkeiten zu leiden. Er war schnell von einem Moment auf den anderen tödlich beleidigt und zog sich in sein Schneckenhaus zurück. Wenn er dann wieder auftauchte, musste sie seine Wunden lecken. Martha beschwerte sich immer wieder bei ihren Freunden, dass er ihr die Luft zum Atmen nehme, und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, wenn sie ihnen haarklein von seinen Gemein-
heiten berichtete. »Wenn ich mit ihm zusammen bin, habe ich ständig das Gefühl, auf einem Minenfeld herumzulaufen«, erzählte sie. Wollte er sie liebkosen, umfasste er gern von hinten ihren Hals – wie ein kleines Kind, das ein Kätzchen würgt. Natürlich versuchte sie dann, sich aus seinem Klammergriff zu befreien, was ihn jedoch gleich wieder in Wut versetzte.
Juanita verabscheute ihn zutiefst. Sie nannte ihn voller Ironie den »Komponisten«. Marthas Freunde sahen in ihm einen Schnorrer, doch sie selbst glaubte, auf musikalischer Ebene gleichermaßen von ihm profitieren zu können. Als Komponist ist Rabinovitch alles andere als ein Dilettant. Fernab von jeglichen modernen Strömungen und dem akademischen Betrieb entwickelte er einen ganz eigenen Stil, wobei seine Musik durchaus gefällig ist. In seiner Komposition Die Zeit übernahm Martha
am 20. Dezember 2000 in Köln den Part der Celesta. Eine Plattenaufnahme bezeugt dieses Ereignis. Sie spielten auch Schwanengesang an Apollo , Liebliches Lied , Incantations für zwei Klaviere und Orchester sowie Musique populaire für zwei erweiterte Klaviere ein, also vier zentrale Stücke aus seinem Werk.
Bei ihren gemeinsamen Auftritten stritten sie ohne Unterlass. Zwischen zwei Stücken konnte man sie nicht selten hinter den Kulissen laut aufeinander einschimpfen hören. In Lyon
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