Martha im Gepaeck
nicht mal eben so unsere Urlaubspläne wegen deiner Spinnereien um.« Das musste einfach mal gesagt werden.
Bernd gab unten ein kurzes sarkastisches Lachen von sich, bei dem Karen zusammenzuckte. Verdammt, Bernd hatte recht. Hatten sie das nicht schon längst? Hatte sie sich nicht schon lange zum willenlosen Spielball ihrer wahnsinnigen Großtante gemacht? Des Erbes wegen?
Martha schien dasselbe zu denken. Sie bekam wieder diesen Reptilienblick und machte ein unmissverständliches Zeichen:
Sie rieb den Daumen an Zeige- und Mittelfinger.
Geld.
Ich streiche dich aus meinem Testament.
5 »Wir müssen herausfinden, was sie vorhat«, sagte Karen halblaut. »Und solange sie es uns nicht verrät, erfüllen wir ihr auch nicht ihre lächerlichen Wünsche. Ganz einfach.« Sie zerdrückte ihre Handtasche vor lauter Aufregung. »Wo kommen wir denn da hin? Glen Manor … Vielleicht gibt es das ja gar nicht. Vielleicht hat sie das nur mal in einem alten Film gesehen. In dem Alter vermischt sich doch alles im Kopf.« Sie tippte Bernd kurz auf den Arm. Hörte er überhaupt zu? »Bernd? Meinst du, sie hat Glen Manor nur erfunden? Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich von der Sache halten soll. Ist das der berühmte Altersstarrsinn?«
»Kann sein. Aber wir werden auch mal alt.« Bei diesen Worten rückte Bernd unmerklich ein Stück von seinem Nachbarn ab, einem alten Mann, der pausenlos in ein großes Taschentuch trompetete und wie ein wütender Hofhund ab und zu einen bellenden Husten in ihre Richtung abfeuerte. »Wahrscheinlich werden wir sogar hier drin alt, wenn das in dem Tempo weitergeht.«
Sie saßen nun schon seit fast einer Stunde im Wartezimmer von GP Dr. Collins, umgeben von Leuten jeglichen Alters, von denen keiner besonders krank aussah. Die meisten lasen Klatschzeitschriften oder spielten an ihren Handys herum. An der Wand hingen Plakate, die die Bevölkerung aufforderten, sich gegen Grippe impfen zu lassen, mit dem Rauchen aufzuhören und den Arzt nicht mit unnötigen Problemen zu belästigen, sondern lieber gleich selber im Internet nach Behandlungsmethoden zu forschen. Schließlich war das nationale Gesundheitswesen kein Goldesel. Zum Entsetzen der Thiemes befand sich auch ein leicht vergilbtes Plakat mit Informationen über Tollwut darunter. Karen hatte alles versucht, um Bernd davon abzulenken. Sie hatte ihm den Reiseführer in die Hand gedrückt, sie war auf die Toilette gegangen und hatte sich bei ihrer Rückkehr ein paar Minuten lang vor das Plakat gestellt und es mit ihrem Rücken verdeckt, sie hatte Bernd ein Informationsblatt über Windpocken vorgelesen. Umsonst. Bernd konnte seinen Blick nicht von dem verhängnisvollen Plakat lösen. Dabei war das Ding schon mindestens dreißig Jahre alt – wie so ziemlich alles in dieser Praxis, mal abgesehen von der Kaugummi kauenden Rezeptionsschwester, die genervt unter einem Wust blondierter Haare hindurchsah.
Seit Bernd das Plakat entdeckt hatte, behauptete er, dass seine Wange brannte und sein Mund dauernd wie von alleine zuckte. Und wenn es doch angeblich keine Tollwut mehr in diesem Land gab, so argumentierte er, warum hing dann hier ein Plakat? Doch wohl nicht zum Spaß?
»Soll ich noch mal nachfragen?«, murmelte er jetzt nervös. »Was machen die denn nur da drin? So viel Zeit haben wir nicht.«
»Wir haben Zeit. Wir werden uns von Martha nicht so hetzen lassen.«
»Ich meine Zeit für mich, Karen. Wie lang ist die Inkubationszeit von Tollwut, hm? Wieso lassen die mich so lange hier warten?«
»Mrs Collins hat gesagt, es gibt keine Tollwut mehr in England. Nun entspann dich doch mal.«
»Das hätte ich lieber gern von einem richtigen Arzt gehört.«
Karen lag es auf der Zunge zu fragen, was denn der Reiseführer zum Thema Tollwut zu sagen hatte, aber sie hielt sich zurück. Bernd liebte dramatische Leiden. Wenn Bernd krank war, dann war er nicht nur krank, sondern lag im Sterben. Wenn Karen sich den Magen verdorben hatte, dann hatte Bernd garantiert Salmonellenvergiftung, wenn Karen eine Erkältung hatte, dann war es bei Bernd mindestens Schweinegrippe.
»Außerdem sollten wir Martha nicht so lange alleine lassen«, fuhr Bernd jetzt fort. »Beziehungsweise die Kinder. So ganz alleine mit ihr …« Er sprach seinen Satz nicht zu Ende. Karen wusste auch so, was er meinte. Sie trommelte gereizt mit ihren Fingern auf der Handtasche herum. Mark, Teresa und Tante Martha waren nämlich in der Zwischenzeit »spazieren«. Dieses harmlose Wort war in
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