Martha im Gepaeck
einkaufen.«
»Shoppen«, verbesserte Karen automatisch. »Und wovon?«
»Das wirst du schon sehen. Aber dazu müsst ihr mich jetzt endlich mal allein lassen.«
»Aber …«
»Raus«, sagte Martha. »Und keine Sorge. Wenn wir uns in ein paar Tagen über das Testament unterhalten, werde ich schon ausgeruht genug sein. Und keinen Schwächeanfall bekommen.« Sie gluckste und schob Karen zur Tür hinaus.
»Tschüss«, sagte Karen lahm. Die Tür schnappte zu.
Sie starrte auf die dunkelbraune Zahl 21 an Marthas Tür. Die Eins hing nur noch lose und würde bald abfallen. Draußen auf dem Parkplatz heulte ein Motor auf.
Was genau hatte Martha ihr eigentlich eben mitteilen wollen?
10 Karen stopfte ihre Haare unter eine Baseballkappe. Das sah immerhin sportlich aus. Dagegen gab es ja wohl hoffentlich nichts einzuwenden. »Gehen wir?«
Bernd sprang eilfertig auf. Sie bemerkte, dass er den Reiseführer weggepackt hatte. Jedenfalls war er nirgends zu sehen. Gut. Dafür starrte Bernd sie jetzt so intensiv an, als erwarte er irgendwelche Reisetipps von ihr.
»Ist was?«
»Nein, nein. Ich habe die Mütze nur noch nie an dir gesehen. Sieht nett aus.« Er redete schnell weiter. »Also bleibt Martha hier?«
»Ja.«
»Hat sie sonst noch was zu dir gesagt? Du wirkst so durcheinander.«
»Sie hat von Liebe geredet.«
»Was?« Bernd sah sie fassungslos an. Offenbar fürchtete er weitere Buchempfehlungen.
»Und von Wein.«
Bernd atmete erleichtert auf. »Martha und Wein? Seltsam. Und überhaupt – ist sie nicht eine alte Jungfer?«
Karen dachte nach. »Ich weiß es nicht«, gab sie dann ehrlich zu. Eigentlich wusste sie ziemlich wenig über ihre Großtante Martha. Sie war irgendwann in Karens Kindheit quasi aus dem Nichts als Oma Lottes jüngere Schwester aufgetaucht, hatte sich nur selten bei Familienfeiern blicken lassen und war wegen ihres bizarren Kleidungsstils und ihrer seltsamen Äußerungen oft Anlass für Gespräche hinter vorgehaltener Hand gewesen. Aber hatte es je einen Onkel an Tante Marthas Seite gegeben? Karen hatte keine Ahnung. Martha war immer so eine Art Gegenpol ihrer kuchenbackenden, schürzentragenden und soliden Schwester Lotte gewesen. Wahrscheinlich hätte sich Karens Kontakt mit ihr auf die obligatorische Weihnachtskarte beschränkt – wenn Oma Lotte vor zwanzig Jahren nicht überraschend gestorben wäre und Karens Mutter sich nicht mit einem gewissen Wolfram auf und davon gemacht hätte, nur um in Neuseeland auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden und alle sieben Jahre mal eine nichtssagende Karte zu schicken.
»Ist Tante Martha verliebt?«, fragte Teresa.
»Vielleicht steht sie ja auf Dwayne«, kommentierte Mark, der endlich aus dem Bad gekommen war und sich mit Turnschuhen aufs Bett geschmissen hatte.
»Dann gönnen wir ihr doch das Schäferstündchen«, sagte Karen schmunzelnd.
»Dwayne riecht aber komisch«, sagte Teresa.
Bernd klimperte mit dem Schlüssel. »Können wir?«
Sie konnten. Sie konnten ein Taxi rufen und sich darauf freuen, endlich ein bisschen Zeit als Familie zu verbringen.
Sie konnten sogar noch einen letzten Blick auf den Parkplatz des Motels werfen und sehen, dass sich vor Dwaynes Truck jetzt eine ganze Schar anderer Männer eingefunden und es sich auf Campingstühlen bequem gemacht hatte. Ihre Trucks standen ordentlich in einer Reihe neben Dwaynes Brottransporter. Sie spielten Karten. Hastig verdrängte Karen die in ihrem Kopf aufsteigende Vision, in der sich eine zerbrechliche Martha zwischen die grobschlächtigen Gestalten quetschte und auf einer Tasse Tee und einer Runde Rommé oder Bridge bestand.
Wenigstens musste sie das nicht miterleben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie lehnte sich im Taxi zurück und fing an, sich zu entspannen. Sie würde sich doch solche Stiefel wie Bettina zulegen. Wenn schon, denn schon.
Im dunklen Fledermaushaus roch es muffig. Hier konnte man die »Kolonie« besichtigen, eine Art Mutter-Kind-Gruppe für Fledermäuse. Sie kauerten oder hingen kaum sichtbar dort in einer Ecke, hinter einer dicken Glasscheibe. Einen Moment lang verspürte Karen so etwas wie Neid. Die Fledermausmütter hatten es gut. Sie mussten keine langweiligen Brettspiele mit ihren Kindern spielen und keine Freude heucheln, wenn man ihnen einen vertrockneten Zweig reichte. Sie waren faltig und unattraktiv und wahrscheinlich hingen ihre Brüste bis sonst wo hin, falls sie überhaupt welche hatten. Sie trieben nie Sport, mussten keine vierteljährlichen
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