Martha im Gepaeck
Fußballern, angebissenen Sandwiches, singenden Cowboys, quietschenden Bremsen und zertrümmerten entgegenkommenden Autos steuern würde. Sie hielt Bernds Hand fest umklammert und presste sie jedes Mal, wenn Dwayne Gas gab. Sie rasten jetzt eine Straße entlang, die parallel zur Autobahn verlief. Sie war gerade breit genug für ein Auto, und Dwayne machte keinerlei Anstalten, zur Seite zu fahren, als ihnen ein weißer BMW entgegenkam. In letzter Sekunde wich dessen Fahrer ins Kornfeld aus. Eine Staubwolke wirbelte auf. Er hupte laut und wütend.
» Fuck you! «, schrie Dwayne. Er lachte begeistert.
Bernd verzog schmerzhaft das Gesicht. Mark grinste.
Kurz danach bremste Dwayne auf einmal scharf. Es roch nach verbranntem Gummi. Sie fuhren auf einen asphaltierten Parkplatz, an dessen Eingang ein blaues Schild mit Neonschrift lockte: Autobahn Inn . Das »A« hing schief, und die ganze Gegend zeichnete sich durch eine komplette Abwesenheit jeglicher Vegetation und eine alarmierende Anzahl schwarzer Krähen aus, die lustlos auf dem leeren Parkplatz herumpickten. Alles wirkte so einladend wie ein rumänischer Kleinstadtbahnhof um Mitternacht.
»Wir sind da«, meinte Dwayne. »Feierabend! Ist nicht das Hilton , werdet ihr ja gleich sehen, aber besser als nichts, sage ich immer.«
»Danke«, sagte Karen steif. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf nach links und rechts. Irgendeine höhere Macht hatte sie dieses Mal noch vor dem Tode bewahrt.
Bernd atmete hörbar neben ihr auf. »Wessen Idee war das gleich noch mal?«, fragte er leise.
»Du lebst«, entgegnete Karen. »Sei dankbar.«
»Also, ihr könnt ja gern noch irgendwas unternehmen, bis der Van fertig ist«, meldete sich Martha, die auf dem hohen Sitz saß wie eine Königin. »Aber ich glaube, ich bleibe hier im Motel bei Dwayne und mache ein kleines Kartenspielchen mit ihm. Habe schon lange nicht mehr gepokert. Haben Sie Lust, Dwayne?«
Dwayne starrte die alte Frau verblüfft aus seinen kleinen Äuglein an, die tief im zerfurchten Kartoffelgesicht vergraben waren. Dann brach ein Schwall ungestümen Gelächters aus ihm heraus, das nur von gelegentlichem Raucherhusten unterbrochen wurde. » Fuck! «, rief er euphorisch. »Eure Oma ist spitze. Klar pokern wir ’ne Runde.«
9 »Ich habe absolut nichts dagegen, dass sie hierbleibt«, erklärte Bernd. Er saß auf der gelb gemusterten Steppdecke, die das Doppelbett schmückte und gemeinsam mit den gelben Wänden das Motelzimmer in eine Art Vorhölle für Leberkranke verwandelte. Ihm zu Füßen hockte Teresa und drückte auf einer kleinen rosa Spielkonsole herum. Mark war im Bad.
»Das können wir doch nicht machen«, entgegnete Karen. »Was, wenn er ihr was antut?«
»Wenn er ihr was antut?« Bernd lachte auf. »Wenn sie ihm was antut, meinst du wohl.«
»Bernd, das ist nicht lustig. Denk mal an heute Morgen, als sie umgekippt ist.« Halt, nein, dachte Karen. Lieber nicht daran denken. Je mehr Abstand sie gewann, umso überzeugter war sie, dass Marthas Ohnmacht nur vorgetäuscht war. Ein Fake , wie Mark sagen würde. Aber eine alte Frau, die nur so tat, als ob sie umfiele? Es war einfach unfassbar, deshalb vergrub Karen die Erinnerung daran lieber irgendwo tief in ihrem Gehirn. Sie fuhr sich mit dem Kamm durch die Haare. Dann seufzte sie. »Ich weiß nur, wenn Martha sich hier ein bisschen ausruht und, von mir aus, mit diesem Mann Rommé spielt, ist das sicher erholsamer für sie, als mit uns durch den Zoo zu traben. Aber ein ungutes Gefühl habe ich trotzdem dabei.«
»Poker hat sie gesagt. Aber wahrscheinlich meint sie Rommé. Und es ist nur ein Fledermausreservat.«
»Fledermäuse sind doch süß, Papa.« Teresa sah auf.
»Sicher sind sie süß.« Er blätterte im Reiseführer. Auf der Suche nach weiteren Tieren?
Karen ließ nicht locker. »Was, wenn dieser Dwayne sie ausraubt, wenn sie ihm von ihren Reichtümern erzählt?«
»Welche da wären?«, fragte Bernd ohne aufzublicken.
»Du weißt, was ich meine. Martha hat so eine Art, vielleicht ist das ja das Alter, aber … sie erzählt manchmal die seltsamsten Dinge. Rob Roy! Und die Holzfigur. Ich meine …« Karen schüttelte entnervt den Kopf.
»Gott, Altwerden ist so furchtbar.« Bernd stand auf. »Bist du fertig?«
Karen stellte sich vor den milchigen Spiegel und zupfte an ihrer Hose herum. »Kann ich so gehen? Das Licht hier drin ist schrecklich fahl. So ein Mist, dass die Koffer noch im Van sind.« Sie machte eine halbe Drehung. Die Hose klebte vorn
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