Martha im Gepaeck
Sitzreihe verbannt worden war. Selbst das unansehnliche Motel erschien ihr jetzt, als sie auf den Parkplatz fuhr, wie ein gemütliches, wenn auch schlichtes Feriendomizil. So glücklich war Karen, dass ihre erste Reaktion auf Teresas Ausruf »Da ist ja Tante Martha mit Dwayne!« nur ein reflexartiges »Ach, wie schön, mein Schatz« war. Je mehr die Bedeutung dieses Satzes jedoch in ihren Verstand einsickerte, und je näher sie an das Grüppchen konzentriert dreinblickender Trucker heranfuhren, die sich um Dwaynes Impromptu-Campingidylle geschart hatten, umso trockener wurde Karens Mund. Inmitten der wie gebannt starrenden Trucker befand sich Martha, in einem Campingstuhl lümmelnd, den linken orthopädischen Schuh lässig vom bestrumpften Fuß gestreift.
»Ich glaub, ich spinne«, sagte Karen leise. Sie hielt mit einem Quietschen an. Keiner der Trucker sah auf. Was war hier los?
»Martha«, rief sie beim Aussteigen. »Du bist ja schon wach!«
Niemand antwortete.
Martha hielt ein paar Spielkarten in der Hand und lächelte ein freundliches Großmutterlächeln. Einer der Umherstehenden stieß gerade seinem Nebenmann in die Seite und flüsterte etwas.
Dwaynes Gesichtsfarbe war von einem explosiven Rot. Er saß Martha gegenüber, hielt ebenfalls eine Handvoll Karten und wandte seinen Blick keine Sekunde lang von Martha ab. Die beiden anderen Spieler neben ihm waren sichtlich um undurchdringliche Mienen bemüht, aber Karen konnte die Schweißperlen sehen, die ihnen den Hals hinunterliefen. Martha summte leise.
»Hast du doch den armen Dwayne überredet, mit dir Karten zu spielen?« Karens Worte trafen ins Leere; sie konnte hier rufen und fuchteln und sich eine Narrenkappe aufsetzen – niemand interessierte sich für sie. Alle Augen waren nur auf Martha und die Kartenspieler gerichtet.
»Wir haben dir Fish & Chips mitgebracht«, versuchte Karen es erneut.
Dwayne stieß irgendwas zwischen den Zähnen hervor, das wie » Shut up that stupid German « klang.
»Was? Was hat er gesagt?« Karen konnte fühlen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, dass Dwaynes gezischelte Äußerung sie persönlich betraf und wenig schmeichelhaft war. Doch mit der Sturheit von jemandem, dessen Welt eben noch in Ordnung gewesen war, schob sie sich zwischen den Versammelten hindurch, damit Martha endlich mit ihr redete und mit diesem Unsinn aufhörte.
»Karen. Lass doch«, hörte sie Bernds Stimme wie durch eine schallisolierte Mauer, aber auch das hielt sie nicht davon ab, einen weiteren Vorstoß zu wagen: »Was hat er gesagt?«
»Dass die blöde Deutsche den Mund halten soll«, übersetzte Martha, ohne im Geringsten ihre Haltung oder ihren Gesichtsausdruck zu verändern.
»Ach«, sagte Karen. Wie gelähmt blieb sie stehen. »So.« Blut schoss ihr ins Gesicht. Was fiel diesem unverschämten Trucker eigentlich ein?
»Die pokern«, sagte Mark neben ihr. »Macht Tommy auch manchmal. Aber nur um Zahnstocher. Die hier pokern um Geld, guck mal.« Er deutete auf den Campingtisch, in dessen Mitte ein anständiger Haufen Geldscheine lag.
Martha pokerte? Um Geld? Karen schloss kurz die Augen. Heilige Mutter Gottes, bewahre mich vor Hysterie, Wahnsinn und totalem finanziellen Ruin. Alles, was ich will, ist Urlaub machen, ein paar Wildlederstiefel kaufen und irgendwann mal ein Haus besitzen.
»Was sagt er?«, rief Bernd.
»Dwayne erhöht immer wieder. Die anderen sind bestimmt bald draußen«, flüsterte ein Mann neben Karen. Er grinste und entblößte dabei eine Reihe maisgelber Zähne. »Er wird sie ausnehmen wie ’ne Weihnachtsgans.«
»Was?« Karen verstand kein Wort. »Sie verliert?« Das war alles, was sie interessierte.
Der Mann neben ihr reckte den Hals, um besser sehen zu können. Doch da vorn tat sich nichts. Einer der Männer wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn; Martha wirkte entspannt wie beim Kaffeekränzchen. »Weiß nicht. Die spielen schon seit einigen Stunden. Sie hat ein paar Runden verloren, aber auch ein-, zweimal gewonnen. Anfängerglück. Und in der letzten Runde hat sie plötzlich den Einsatz auf 100 Pfund erhöht. Da hat sie wohl das Pokerfieber gepackt. Im Pot sind jetzt 1000 Pfund! Sie geht aber nur noch mit. Wahrscheinlich hat sie’s jetzt mit der Angst zu tun bekommen, weil sie doch nur ein mittelmäßiges Blatt hat. Ist echt schwer für Dwayne. Er explodiert bald, sehen Sie ja. Er hält es kaum noch aus, aber …«
»Tausend«, flüsterte Karen. Martha würde in wenigen Minuten ein paar
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