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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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gewonnen, Tante Martha?«, fragte Mark. »Du musst mir unbedingt zeigen, wie das geht.«
    »Nichts da«, konterte Karen nervös. »Was machen wir denn jetzt?« Sie sah an Mark vorbei zu Dwayne, der wie eine Furie herumsprang und irgendetwas brüllte. Er würde sich morgen früh auf ihre Familie stürzen wie ein ausgehungerter Löwe. »Gib ihm das Geld zurück, Martha.«
    Marthas Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. »So weit kommt’s noch! Gewonnen ist gewonnen. Wo ist das Problem? Wir stehen einfach vor Dwayne auf.«
    »Du meinst …«
    »Ja, ich meine. So gegen vier Uhr, das müsste reichen. Dann können wir leise …«
    »Abhauen?« Karen schüttelte ungläubig den Kopf.
    Martha lächelte, die Fältchen in ihrem Gesicht breiteten sich dabei in Windeseile aus wie ein perfektes Spinnennetz. »Na, wenn du es so nennen willst? Ja – wir hauen ab.«
    »Endgeil.« Marks Finger rasten über die Tastatur seines Handys.
    »Wir fliehen wie Kriminelle. Früh um vier«, wiederholte Karen tonlos.
    »Willst du vielleicht bis um sechs warten?«, sagte Martha. »Und dann gehen wir einkaufen. Ach, was sag ich – shoppen.« Sie lachte.
    Karen schwieg. Sie wusste einfach nicht mehr, was sie sagen sollte. Alles, was sie wollte, war eine glückliche Familie und Erholung. Vielleicht noch eine Massage in den Highlands.
    War das denn zu viel verlangt?

11 Die Sonne kroch gerade erst als zartrosa Ball am Himmel hoch, als Bernd so lautlos wie möglich Gas gab und die Thiemes den Motelparkplatz verließen. Er wirkte fahrig und nervös, und auch Karens Herz raste wie wahnsinnig. Ihr Blick irrte immer wieder zum Rückspiegel, in dem sie jeden Moment das Aufblitzen von Dwaynes Scheinwerferlicht erwartete. Aber alles blieb dunkel und still. Hoffentlich hatte der grässliche Dwayne einen festen Schlaf. Karen ließ das Fenster herunter und lauschte, halb in Erwartung, in der Ferne ein wütendes » Fuck! « zu hören. Nichts. Dann schämte sie sich. Ein schönes Vorbild waren sie hier für ihre Kinder. Wann war sie das letzte Mal vor jemandem weggerannt? In der sechsten Klasse vor dem liebeskranken und schmuddeligen Heiko Erbe, genannt Kutte, der ihr auf dem Nachhauseweg aufgelauert hatte? Die Details dieser Flucht aus dem Autobahn Inn durften nie an die Öffentlichkeit dringen. Wie würde sie sonst vor ihren Kolleginnen dastehen? Vor Mike? Sie konnte es schon hören: Die Thieme ist in England mit ihrer verrückten Familie aus einem Motel geflohen. Echt? Hatten wohl kein Geld zum Bezahlen, was? Große Klappe und nichts dahinter, das kennt man ja. Kann die überhaupt rennen, unsportlich, wie die ist? Und so weiter, und so fort.
    Karen überlegte. Sie musste das Wort »Flucht« aus der Erinnerung ihrer Familie tilgen. Sie flohen nicht. Sie hatten einfach ihre Gründe, warum sie so zeitig losfuhren. Und die Zimmer hatten sie ja bezahlt. Sie räusperte sich. »Eine gute Idee, so zeitig loszufahren. Auf diese Weise vermeiden wir die ganzen Staus auf der Autobahn.«
    Bernd murmelte etwas, die anderen schwiegen.
    »Und die Vögel«, fuhr Karen unbeirrt fort und öffnete das Fenster noch ein Stückchen weiter, »die hört man auch nur so früh am Morgen. Das ist doch mal was.« Schweigen. Irgendwo zwitscherten tatsächlich ein paar Vögel, wie sie dankbar zur Kenntnis nahm. Hinter ihnen blieb die Straße dunkel. Alles war wie ausgestorben, hellgrau und dunkelgrau mit dem rosa Farbtupfer der Sonne, wie auf einem alten, nachträglich kolorierten Schwarzweißfoto.
    Die Autobahn M 25 und der Londoner Ring, endlich. Als Bernd die Auffahrt nahm, begann Karen sich zu entspannen. Alles war gut und Dwayne nur ein Schreckgespenst des gestrigen Tages, an dessen Existenz Karen jetzt, im milchigen Morgengrauen, fast zweifelte. Während sie sich gemütlich in ihren Sitz keilte und in den Rückspiegel sah, hatte sie Marthas weinrote Handtasche im Visier, die diese auf dem Schoß festhielt wie ein Baby. Das Geld. Das Geld in der Tasche war echt. Über 1000  Pfund hatte Martha doch tatsächlich ergaunert, es war nicht zu glauben. Karen grinste. Vielleicht war ja doch was dran an ihrem Reichtum. Das Eigenheim rückte auf einmal wieder in greifbare Nähe, und für eine Weile verlor sie sich in Tagträumen, in denen sie selbst in einem weißen Bademantel auf einem sonnendurchfluteten Balkon stand, sich wohlig streckte und nach frischen Feigen mit Joghurt und Minze griff, die irgendjemand – auf jeden Fall nicht Karen – zubereitet hatte. Keinerlei blöde

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