Martha im Gepaeck
sie hilflos. Sie sah weder Bernd noch Martha dabei an. »Na, so was«, sagte sie gleich noch mal. Zu mehr war Karen im Moment nicht imstande.
The Sheep Heid Inn war angeblich das älteste Pub in Edinburgh, wie Bernd nicht müde wurde zu erzählen. »Gemütlich und rustikal. Der perfekte Platz, um in schottische Geschichte einzutauchen.«
Karen war sich ziemlich sicher, dass er heimlich im Reiseführer nachgeschaut hatte, als sie sich im Bad frisch gemacht hatte. Er war wieder ganz in seinem Element.
»Auf Reiseleiter Bernd ist eben Verlass.« Karen meinte das ironisch, aber Bernd nickte huldvoll, als hätte sie ihm gerade eine Urkunde verliehen.
»Hier gibt es echten Haggis«, sagte er erfreut, nachdem er einen Blick auf die Speisekarte geworfen hatte, die draußen in einem Glaskasten ausgehängt war.
»Was ist ein Haggis?«, fragte Teresa.
»Gefüllter Schafskopf«, sagte Mark.
»Iiiih.« Teresa schüttelte sich.
»Nein, gefüllter Schafsmagen«, verbesserte ihn Bernd.
Mark schnaufte amüsiert. »Und das ist besser? Können wir nicht zu McDonald’s gehen? Ich esse nichts, was schon mal bei Schafen im Kopf war. Oder im Bauch.«
»Wenn wir in Schottland sind, dann essen wir schottisch. Da gehen wir doch nicht zu einer amerikanischen Fast-Food-Bude.« Bernd legte die Hand auf den Türknauf. »Also?«
»Mac ist doch schottisch.« Mark gab nicht so schnell auf.
Karen presste ihre Stirn an die Glasscheibe und sah von außen hinein. Ziemlich düster da drin. Allerlei Hausrat und Klimbim hing an den Wänden, wahrscheinlich, um zu demonstrieren, wie wahnsinnig alt und historisch alles war. Drei einsame Trinker prosteten sich am Tresen zu. Es roch selbst hier draußen säuerlich nach Bier. Dafür hatte sie sich schick gemacht? »Urig«, sagte sie dann in einem Ton, als habe sie gerade da drin tote Ratten an der Wand hängen sehen.
»Was ist denn nun?« Bernd sah seine unschlüssige Familie an. »Wollt ihr nicht? Was ist mit dir, Martha?«
Martha studierte die Speisekarte. Sie schwieg.
»Queen Mary hat hier immer gegessen, hier steht’s.« Bernd zeigte auf ein kleines Schild. »Bestimmt gibt es da drin ein Bild von ihr, dann kannst du sie mal sehen, Teresa.«
»Mit oder ohne Kopf?« Mark grinste. Teresa streckte ihm die Zunge raus.
»Also, ihr könnt ja machen, was ihr wollt. Aber ich glaube, ich gehe lieber woandershin. Mir ist heute danach, einen draufzumachen. Außerdem bin ich viel zu schick angezogen für gefüllten Schafsmagen.« Martha machte Anstalten, alleine die Hauptstraße entlangzutrippeln.
Karen gluckste leise. Tante Martha mochte ein bisschen meschugge sein, aber sie sprach Karen aus der Seele. In der Tat hatte Martha ihren Schottenrock gegen ein Kleid mit Mohnblumen eingetauscht und trug dazu eine Kette um den Hals, die Karen noch nie zuvor gesehen hatte. Sie selbst hatte sich in ihren khakifarbenen Rock gezwängt und ihre neue Folklorebluse angezogen. Selbst Teresa und Mark hatten sich umgezogen. Der Einzige, der vom Stil her in das Sheep Heid Inn passte, war Bernd. Er stand völlig entgeistert da.
»Martha, was soll denn das. Wir müssen doch zusammenbleiben, in so einer großen Stadt.«
»Also ehrlich gesagt, ich glaube, ich gehe dahin, wo Martha hingeht.« Karen schnappte nach Teresas Hand und lief Martha hinterher.
»Wieso das denn?«, rief Bernd. Er sah aus, als hätte sie ihm die Urkunde gerade wieder aberkannt.
»Ihr Männer könnt euch ja mit Innereien vollstopfen«, rief Karen über die Schulter zurück. »Wir Frauen suchen uns was anderes.«
»Ich gehe auch mit Martha mit«, sagte Mark sofort. »Da ist immer was los.« Er folgte den Frauen.
»Bin ich nur noch der Chauffeur, oder was? Nun wartet doch«, rief Bernd. Er setzte sich in Bewegung. »Ich komm mit. Einen draufmachen wollt ihr also? Wo denn? Wie denn?«
»Nun stell dich nicht so an«, rief Karen. »Wir können doch auch mal was anderes probieren.«
»Ach ja?« Er klopfte auf seinen Rucksack, in dem sich etwas Viereckiges verräterisch wölbte. Der Reiseführer? »Ihr werdet mir noch dankbar sein, wenn ich euch wieder zum gemütlichen Sheep Heid Inn zurückführe. Edinburgh ist eine der teuersten Städte Europas!«
Martha blieb wenig später vor einer prunkvollen Fassade stehen. Ein eleganter Schriftzug stand über der Tür, golden auf schwarzem Untergrund, zu verschnörkelt, als dass Karen ihn hätte entziffern können. Drinnen konnte man Kronleuchter mit langen Glastropfen erkennen, ein Mann in dunkelblauer
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